Zwei Artikel zum Thema Genossenschaften sind uns kürzlich aufgefallen. Zum einen der Artikel «Geschlossene Gesellschaften» (Beat Metzler/Tages-Anzeiger vom 08.04.15) und zum anderen der «Abschied vom bequemen Freisinn» von Lucien Scherrer in der NZZ vom 14.04.15.
Beiden zugrunde liegt ein fataler Irrtum und daraus resultierend eine völlig falsche Grund- und Anspruchshaltung: Genossenschaften, auch Wohnbaugenossenschaften sind kein öffentliches Gut, sondern private Unternehmen wie Aktiengesellschaften auch. Sie gehören sich selbst und der allergrösste Teil ihres Landes und ihrer Liegenschaften ebenfalls. Dementsprechend entbehrt der Anspruch, die Genossenschaften hätten ausschliesslich den Armen Obdach zu bieten, jeglicher Grundlage – sowohl rechtlich als auch moralisch. Und selbst wenn dem so wäre, wären auch die Genossenschaftswohnungen irgendwann (jetzt) voll belegt, und noch immer gäbe es solche, die dringend günstigeren Wohnraum benötigten. In beiden Artikeln werden Genossenschaften als geschlossene Gesellschaften und deren Wohnungsvergabe als intransparent bezeichnet, u. a. weil sie keine Wartelisten führen.
Geschlossene Gesellschaft, weil keine Warteliste?
Das ist absurd. Eine voll besetzte Genossenschaft mit Warteliste ist kein bisschen offener als eine, die keine solche Liste führt. Und auch eine Genossenschaft ohne Warteliste wird bemüht sein, für möglichst viele Menschen eine gute Wohnlösung zu finden. Dass dabei Menschen, die bereits Genossenschaftsmitglieder sind, manchmal (nicht immer) den Vorzug bei der Vergabe einer Wohnung erhalten, hat mit den Statuten zu tun, die dies vorsehen. Und auch dies zurecht.
Es gibt gute Gründe, keine Warteliste zu führen:
> Oft sind sie schon nach kurzer Zeit nicht mehr aktuell (Interessenten melden sich nicht ab)
> Manchmal passen die «Nächsten» nicht in das betreffende Haus (Es gilt, eine ausgewogene Nachbarschaft zu erhalten)
> Wer sich bewirbt, entwickelt eine Anspruchshaltung. Entsprechend fordernd und unangenehm werden Kontakte.
> Eine Bewerbung sagt nichts darüber aus, ob sie jemand für die Genossenschaft einsetzen wird. (Genossenschaften sind aber
darauf angewiesen, dass dies der Fall ist, da vieles ehrenamtlich organisiert ist.)
> Viele Bewerbungen entsprechen nicht den Anforderungen. Wie sollen diese «eingereiht» werden?
Auch der Vorwurf der Intransparenz ist absolut unhaltbar. Zum Einen besteht keine Pflicht zur Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit. Zum anderen müssen sich Vorstände sehr wohl oft gegenüber anderen Genossenschaftsmitgliedern für die Vergabe rechtfertigen. Bei kommerziellen Liegenschaften-Unternehmen wird das kaum je der Fall sein.
Wenn von einer geschlossenen Gesellschaft gesprochen werden muss, dann dort, wo Luxuswohnungen und Häuser gebaut werden, deren Mieten oder Kaufpreise sich die allerwenigsten Menschen leisten können, die allermeisten also davon ausgeschlossen sind. Ausgerechnet in diesem Bereich findet übrigens eine extensive Förderung statt.
Fragen im Zusammenhang mit der Subventionierung von Wohneigentum sind erlaubt:
> Warum gibt es keine Belegungsvorschriften für steuervergünstigtes Wohneigentum?
> Warum gibt es keine Einkommens- und/oder Vermögenslimiten für staatlich unterstütztes Wohneigentum?
Ausserdem: Würden kommerzielle Liegenschaften-Unternehmen Wartelisten führen?
Zur Erinnerung: Die Genossenschaften sind jene, die durchwegs günstige Wohnungen auf dem Markt anbieten.
Warum ziehen dann Wirtschaftskreise und Presse immer wieder ausgerechnet gegen den gemeinnützigen Wohnbau vom Leder? Es lenkt vom selbstgemachten Problem ab statt es zu lösen. Der Markt wird es nicht richten – der Markt wird mehr und mehr Menschen auf die Strasse stellen oder in finanzielle Nöte und zu den Genossenschaften treiben. Solange so kurzsichtig gewirtschaftet wird, wird der Markt immer den Markt und die schnelle Rendite bevorzugen statt die Markt-Teilnehmenden.
Stefan Weber-Aich | Kommunikation