Rückblick auf die 8. Fachtagung des gemeinnützigen Wohnbaus

Christine Varga, als Germanistin und Soziologin am zunkunftsInstitut.at für die Erforschung von New Living, New Work und Geschlechterrollen zuständig.

 

Die Teilnehmerliste war lang: Mehr als 160 Vertreterinnen und Vertreter von gemeinnützigen Bauträgern, städtischen und kantonalen Verwaltungen, Planungsbüros und Energieproduzenten, Hochschulen und Fachzeitschriften hielten an der 8. Fachtagung des gemeinnützigen Wohnbaus Rückschau auf mehr als 10 Jahre 2000-Watt-Gesellschaft. Und diskutierten Lösungsansätze für die Zukunft.

In seiner Grussbotschaft erinnerte sich Daniel Leupi daran, wie er damals mit anderen am Küchentisch die 2000-Watt-Initiative formulierte, wie diese im November 2008 überraschend deutlich angenommen wurde und wie er sich heute, als Stadtrat von Zürich, darüber freut, wie intensiv gerade beim Wohnen am Thema gearbeitet wird, sowohl bei den gemeinnützigen Bauträgern als auch bei den zahlreichen Bauvorhaben der Stadt Zürich selbst. Und er appellierte an die Innovationskraft der Branche, auch künftig neues auszuprobieren, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und dem 2000-Watt-Ziel näher zu kommen.

Not macht erfinderisch
1973 gab der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA das erste Merkblatt mit einer Empfehlung zum Thema «Wärmedämmung» heraus, im Jahr der autofreien Sonntage, im Jahr der Ölkrise. Seither, so schilderte Annick Lalive d’Epiney von der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich in ihrem Referat, sei viel geschehen. Ein Thema nach dem anderen wurde umgesetzt. Auch wurden Probleme und Lösungsansätze in immer grösseren Zusammenhängen gedacht: Beim Energiesparen über die Energieeffizienz bis hin zu den sogenannten Erneuerbaren folgten mit der kontrollierten Lüftung, der Photovoltaik und den Wärmepumpen in kurzer Zeit immer neue Innovationen. Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts geriet dann das Baumaterial und damit Stofflüsse und Rezyklierbarkeit, graue Energie und Gesundheitsaspekte in den Fokus.
Nach der erfolgreichen Abstimmung im Jahre 2008 wurden Wohnflächenverbrauch und Mobilität infrage gestellt und Ökobilanzen gezogen, High-Tech und neue Standards hielten Einzug. Auch wurde und wird das «Benutzerverhalten» immer genauer unter die Lupe genommen. Stichworte wie Suffizienz, Partizipation, Einfachheit und andere, platzsparende Wohnformen führten zum Umdenken und zu neuen Grundrissen, der rasche Klimawandel und die Ressourcen-Knappheit – auch bei den Baumaterialien – zu einer umfassenden Nachhaltigkeit im Bereich des Bauens und Wohnens.

Annick Lalive d’Epinay von der Liegenschaftenverwaltung Stadt Zürich


Neue Megatrends statt die Fortsetzung des Gekannten

Die Keynote hielt – anstelle des erkrankten Matthias Horx – Christine Varga. Als Zukunftsforscherin kam sie einleitend auf die Grundlage ihrer Arbeit zu sprechen: die präzise und umfassende Beobachtung unserer Gesellschaft fernab der Kristallkugel. Ausserdem beschrieb sie ein interessantes Phänomen, das sie Linearitis nennt. Es beschreibt die Schwierigkeit, trotz Erfahrung neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Im Folgenden ging sie auf gesellschaftliche Veränderungen ein, die auch das Wohnen und die Gemeinschaftsbildung der nächsten Jahre stark beeinflussen werden: Die steigende Mobilität, die abnehmende Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit und in der Folge die Vermischung von Privat-, Arbeits- und öffentlichen Räumen sowie die voranschreitende Individualisierung verlangen auch nach neuen Wohnformen und neuen Grundrissen, um gleichermassen neue Nachbarschaften und neue Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Ausserdem zeigte sie auf, dass sich die Lebenspläne der Menschen im Wissenszeitalter fundamental von jenen des vergangenen Industriezeitalters unterscheiden, was es zusätzlich schwierig macht, das entsprechende Wohnangebot für die kommenden Bedürfnisse zu planen. Ihre These lautet: «In der Zukunft wird die Nachfrage nach Wohnraum nicht mehr von der Quadratmeterzahl bestimmt. Sondern von der Qualität der Shared Spaces.»

Mit Zwischenraum, hindurchzuschau’n
Anschliessend wurde anhand von fünf Thesen weiter versucht, dem künftigen Wohnraum auf die Spur zu kommen. Eine der Thesen, der sich Astrid Heymann, neue Direktorin der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich, Claudia Thiesen, Vorständin von mehr als wohnen, und Urs Frei von der Unternehmerbaugenossenschaft Zurlinden stellten, lautete: «Gemeinschaftlich ist nachhaltig.» Oder mit anderen Worten: Braucht es in Zukunft weniger Wohnraum und Energie, aber mehr Infrastruktur? Zwar waren sich alle darin einig, dass der Raum zwischen den Wohnungen immer wichtiger wird. Aber Urs Frei wies auch darauf hin, dass «besondere» Wohnformen noch kein Massenphänomen seien und sich diese auch nur bei grossen Projekten sinnvoll einplanen liessen. Auch auf die These, einfaches Wohnen gewinne an Bedeutung, hatte er eine Antwort parat: «Einfach Bauen ist komplex. Man sollte die Vorschriften hinterfragen.»
Zur dritten These, «Weniger ist mehr» wurde festgehalten, dass Bauherren gute «Besteller» sein und zum Beispiel bei einem Wettbewerb die Architekten punkto Suffizienz in die Pflicht nehmen müssten. Ausserdem würden Vorgaben zu Mindestwohnflächen den «Verzicht» behindern. Eine weitere These nahm Bezug auf die aktuellen Medienberichte und behauptete, dass das Kühlen in Zukunft wichtiger würde als das Heizen. Und zum Schluss wurde die Frage nach den Ressourcen gestellt: «Das Material wird knapp.» Es müsse langlebiger gedacht und leichter gebaut werden, auch um graue Energie einzusparen.

Auf einem gutem Weg, der noch lang ist
Das einhellige Fazit der Teilnehmenden lautet: Die Technologien beim Bauen und Wohnen sind inzwischen hoch entwickelt, und wir kommen nicht umhin, künftig auch auf das Benutzerverhalten einzuwirken um dem 2000-Watt-Ziel nachhaltig näher zu kommen.

Die abschliessende Thesenrunde

Unsere Kooperationspartner