Während die Stadt Zürich darauf achten muss, nicht von ihrem erfolgreichen Standortmarketing der letzten zehn, 20 Jahre überrollt zu werden, sind die gemeinnützigen Bauträger darauf – auch in der Agglomeration – bedacht, die Baukosten zu senken und beispielsweise nur zur Hälfte genutzte Tiefgaragen zu vermeiden. Sie setzen dabei auf Verkehrskonzepte um die Auflagen für autoarme oder gar autofreie Siedlungen – mit einem Minimum an Parkplätzen – zu erfüllen. Auch punkto Klimaziele haben die Stadt Zürich und die Wohnbaugenossenschaften viel gemeinsam. An der 13. Fachtagung des gemeinnützigen Wohnungsbaus vom 6. Dezember 2024 im Haus Werd in Zürich wechselten sich Forschungs- und Anwendungsthemen ab, und es zeigte sich: beide können voneinander lernen.
Simone Brander, Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsamts der Stadt Zürich, sprach in ihrer Grussbotschaft nicht nur vom ehrgeizigen Ziel der Stadt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Sie zeigte auch auf, welche Anstrengungen von der Stadt selbst unternommen werden und mit welchen Beschlüssen sie den Wohnbauträgern entgegenkommt, damit diese mitwirken, um dieses Ziel zu erreichen. So erleichtert sie beispielsweise die Regelungen für Mobilitätskonzepte und verzichtet künftig auf einen Nachweis, dass die damit verbundenen Ziele erreicht werden.
Konkrete Massnahmen: Quartierblocks und Parkierung
Rund 32 % der direkten CO2-Emmissionen werden durch den MiV – der motorisierte Individualverkehr – verursacht. Deshalb – so Rene Huber vom Tiefbauamt – setze die «Stadtraum und Mobilität 2040-Strategie» dort an. Zum Beispiel mit dem Konzept des Quartierblocks, bei dem der Duchgangsverkehr auf Hauptverkehrsachsen gebündelt und so aus den Quartieren verbannt werden soll. Da die Stadt keine Insel sei, sei hier die Koordination mit dem Kanton bezüglich Verkehrsachsen und Anschlüsse von und nach aussen sehr wichtig.
Selbstverständlich müsse man durch gute Kommunikation mit den Bürger:innen Verständnis für die ergriffenen Massnahmen schaffen. Auch sei in den letzten Jahren der Anspruch – was alles im öffentlichen Raum stattfinden soll – stetig gewachsen. Darum sei es wichtig, dafür Platz zu schaffen: Erholungsraum für die Bewohnenden zurückgewinnen, neue Wege für andere Mobilitätsformen zu finden, die entsprechende Parkierung dafür zu schaffen, Entsiegelungen zur Hitzeminderung vorzunehmen, um nur einige zu nennen.
Umwelt-Verkehr-Berater Samuel Bernhard stellte anschliessend die Plattform Immobilien und Mobilität vor und sprach von den «Hebeln» bei Bestandswohnbauten. Dazu stellte er ein Langzeit-Pilotprojekt vor, in dem von 2010 bis 2018 Siedlungen verschiedener gemeinnütziger Wohnbauträger analysiert und nach eingehenden Interviews mit Siedlungsverantwortlichen und Bewohnenden konkrete Massnahmen zur Optimierung vorgeschlagen und initiiert wurden. Auch beim neusten Projekt ging es um die Erfassung des effektiven Bedarfs an Parkierungsmöglichkeiten von Velo bis Auto bzw. von Fahrzeugen im Privatbesitz versus Carsharing sowie um konkrete Probleme bei der Verkehrsführung durch Siedlungen. Die anschliessende Beratung hilft den Bauträgern bei der Erarbeitung von Mobilitätskonzepten.
Neue Konzepte bewähren sich in der Praxis
Während der langen Planungsphase beim Ersatzneubau der Seebahn-Höfe der Baugenossenschaft des Eidgenössischen Personals BEP in Zürich wurde intensiv über ein Mobilitätskonzept nachgedacht. Die bestehende Hofrandbebauung verfügt über keine eigenen Parkplätze. So schilderte Beata Raible, Leiterin Bau und Entwicklung bei der BEP den Prozess: Man sei bei der Wettbewerbsausschreibung 2014 noch von 137 Tiefgaragen-Parkplätzen ausgegangen, habe aber das Mobilitätskonzept in mehreren Schritten überarbeitet und sei 2024 zum Schluss gekommen, lediglich die 26 Pflichtparkplätze zu bauen. Dies wirke sich nicht nur in deutlich geringeren CO2-Emmissionen und mehr Möglichkeiten bei der Hofgestaltung aus. Auch vergünstige sich so das Wohnprojekt und damit die Kostenmiete.
Anschliessend präsentierte Alan Wakefield, Projektleiter bei der Baugenossenschaft wohnen & mehr in Basel, die Herangehensweise betreffend Mobilität beim Grossprojekt Westfeld mit rund 500 Wohnungen und 10’000 m2 Gewerbefläche. Dort wurde ein Teil des bestehenden ehemaligen Spitalgebäudes umgenutzt sowie diverse Neubauten erstellt. Um autoarmes Wohnen und Arbeiten zu ermöglichen, musste sowohl die Verkehrserschliessung als auch die Parkierung überdacht werden. Auch galt es, die Bedürfnisse des umliegenden Quartiers, des neuen Spitals, der Bewohnenden und der Läden und Kleindienstleister zu berücksichtigen. Das Konzept sah weniger als 0,3 Parkplätze pro Mietpartei und kurze Wege durch die Quartier-Infrastruktur vor. Dazu gehörten auch ergänzende Angebote wie Carsharing, E-Mobile und eine grosszügige Velo- und Cargo-Velo-Parkierung, aber auch Sanktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung des Konzepts.
Mira Porstmann stellte anschliessend das Mobilitätskonzept der neuen, autoarmen Siedlung Guggach der Stiftung Einfach Wohnen SEW vor. Auch dort wurde ursprünglich der Bau einer Tiefgarage mit 17 Abstellplätzen und 28 Parkplätze oberirdisch geplant. Aufgrund des verkehrsgünstigen Standorts – Grossverteiler in und öV-Haltestelle vor der Siedlung sowie drei Mobility-Standorte in unmittelbarer Nähe – und weil die SEW den ökologischen Fussabdruck verringern und die Baukosten und damit die Mieten tief halten wollte, wurde stattdessen ein Mobilitätskonzept erarbeitet, das lediglich die für autofreies Wohnen gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtparkplätze für Bewohnende mit Behinderung, Beschäftigte und Besucher:innen vorsah. Nun stehen 19 Parkplätze für 111 Wohnungen zur Verfügung, ausserdem 326 Abstellplätze in der Velogarage, welche mit Schliessfächern, Serviceelementen und Ladestationen ausgestattet wurde. Ausserdem gibt sie Carsharing-Bons an die Bewohnenden aus. Die SEW führt ein jährliches Controlling zur Parkierungssituation und der Einhaltung des Mobilitätskonzepts durch.
Von geteilter Mobilität und modaler Mikromobilität
Michael Roth Gut, verantwortlich für die Angebotsentwicklung von Mobility, warf in seinem Referat einen Blick auf das Verhalten und die Bedürfnisse der rund 277’000 Mobility-Kund:innen. Und rechnete vor, dass ein Mobility-Fahrzeug elf Privatfahrzeuge ersetzt. Dies seien bei 3000 Fahrzeugen rund 60 Fussballfelder, eine Fläche, die so eben für andere Frei-Räume zur Verfügung stehe. Er ging auch auf die Unterschiede zwischen Stadt- und Landbewohnenden ein. Schon in der Einleitung hielt er fest, dass Verkehr ja nur dadurch entstehe, weil jemand von A nach B wolle oder müsse.
So sei es nicht weiter verwunderlich – so Roth Gut –, dass Mobility in den durch den öV gut erschlossenen Städten rund viermal mehr Mitglieder habe als in den ländlichen Gemeinden. Für viele Wege würden sie nicht das Auto nehmen. (Dazu mehr im folgenden Referat von Christopf Knöri). Dann ging er auf die Möglichkeiten ein, die sich in der Zusammenarbeit von gemeinnützigen Bauträgern mit Mobility ergeben. Zwar sei es die persönliche Entscheidung jedes Menschen, ein Auto mit anderen zu teilen. Dieser Entscheid könne aber durch attraktive Angebote beeinflusst werden. Durch Carsharing-Standorte in der Siedlung, durch Mobilitätskonzepte und Anreize wie Mitgliedschaften usw. Da die Nutzung dieses Angebots aber von vielen Faktoren abhänge, lohne es sich, sich individuell beraten zu lassen.
Christof Knöri, Leiter Nachhaltige Entwicklung an der ZHAW, lenkte die Aufmerksamkeit zunächst auf die Frage «Wieso bewegen sich die Menschen überhaupt?» Eine gesamtschweizerische Studie hat gezeigt, dass der weitaus grösste Teil nicht beim Pendeln oder Einkaufen anfällt , sondern in der Freizeit. Durchschnittsschweizer:innen bewegten sich pro Tag etwa 37 Kilometer weit. Davon würden fast zwei Drittel mit dem Auto, meist mit nur einem Insassen, zurückgelegt. Um die Emissionen zu verringern, gebe es drei Ansätze: erstens beim Auto bleiben, aber mit mehr Insassen. Zweitens intermodal mit Kombinationen wie zu Fuss zum Bahnhof, mit dem Zug die lange Strecke und mit dem PubliBike dann zum Büro. Oder man denke drittens bei Mikromobilität nicht mehr an lange Strecken von A nach B, sondern an Services vor Ort, an 15-Minuten Städte, wo alles in der Nähe und mit dem Rad erreichbar sei. Im ländlichen Raum – da anders organisiert – werde Elektromobilität deshalb auch noch länger eine Rolle spielen. Genau wie die Fragen rund um die Ladeinfrastruktur. Letztere sei ein wichtiger Motivator zur Anschaffung eines E-Autos. Da könnten Bauträger gute Angebote machen und so viel zur Senkung der Emissionen beitragen.
Gute Erfahrungen mit autoarmen und autofreiem Wohnen
Wie der Alltag in Wohnbaugenossenschaften mit Mobilitätskonzepten aussieht, erfuhren die Interessierten im zweiten Praxis-Themenblock. Den Anfang machte Andreas Siegenthaler von der Gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft Winterthur GWG. Diese verfügt über knapp 1300 Auto- und 300 Motorad-Parkplätze. Insbesondere die 1000 Tiefgaragenplätze sind nun – im Reglement – nicht mehr nur Autos vorbehalten, sondern für Fahrzeuge aller Art inklusive Zubehör gedacht. Die Velo-Abstellplätze sind in der Netto-Miete enthalten. Da bei den Velos starker Zuwachs zu verzeichnen sei, habe man eigens Velo-Häuschen passend zu den jeweiligen Liegenschaften entwerfen und bauen lassen. Ausserdem stelle die GWG Polyroll-Anhänger für Velos zur Verfügung.
Auch hat die GWG für die Neubausiedlungen selbst eine kleine PW-Flotte angeschafft, die von den Mitgliedern nach Stundentarif rege genutzt werde. Auch bei den Ladestationen sei man einen anderen Weg gegangen. Statt alle Parkplätze damit auszustatten, habe man eigens Ladeplätze eingerichtet, die via App reserviert werden könnten. So habe man einerseits Ladekapazität geschaffen und andererseits nicht in ungenutzte Infrastruktur investiert. Auch nahm Andreas Siegenthaler das Thema Freizeitverkehr nochmals kurz auf: Auch dank Spielplätzen, Musik- und Fitnessräumen im Quartier senke die GWG das Verkehrsaufkommen im und ums Quartier.
Matthias Probst, Vorstand bei der Baugenossenschaft mehr als wohnen, resümierte über zehn Jahre autoarmes Wohnen. Wobei dieses nicht immer autoarm war. Zwischenzeitlich – aufgrund eines stadtbekannten Dönergeschäfts in der Nachbarschaft und weil Google Maps die Zufahrt dahin durch ihr Quartier angezeigt habe – habe es regen Verkehr gegeben. Bis Google der Bitte, die Zufahrt doch anders anzuzeigen, nachgegeben habe. Das Parkplatz-Konzept sei im Laufe der Jahre und je nach Bedarf mehrmals überarbeitet worden. Man habe die Parkplätze nach und nach in die wenig genutzte Tiefgarage verlegt und so mehr Grün- und Lebensraum gewonnen, nicht zuletzt durch die Entsiegelung der freigewordenen Flächen.
Zusätzlich hat die Genossenschaft eine Mobilitätsstation eingerichtet. Dort stehen verschiedene E-Bikes und kleine und grosse Anhänger zur Ausleihe. Und Bewohnende von mehr als wohnen sind automatisch auch Mitglied bei Mobility. Er hielt fest, dass sich die Bedürfnisse laufend veränderten und man bei mehr als wohnen darauf eingehe und Lösungen suche.
Die Baugenossenschaft Kalkbreite, auf einem Tramdepot mitten in Zürich erbaut, hat zehn Jahre Erfahrung damit, was autofrei Wohnen bedeutet. Beat von Felten, Bewohner und Mitglied der AG Mobilität der Kalkbreite, schilderte in seinem Werkstattbericht, wie die Genossenschaft ihr Mobilitätsangebot an die Bewohnenden ständig überprüft und anpasst. Aktuell gibt sie pro Bewohner:in und Monat zwei öV-Tageskarten ab, hat Velogaragen mit 310 Velo-Parkplätzen und einer Flickwerkstatt eingerichtet, samt Ladestationen. Ausserdem vermittelt sie E-Bike- und Cargo-Bike-Angebote und fördert das Sharing innerhalb der Bewohnerschaft. Der neu gegründete Mobilitätsfonds soll weitere Dienstleistungen in diesem Bereich finanzieren. Auch wies er darauf hin, dass es für ein funktionierendes Mobilitätskonzept eine gute interne Kommunikation braucht. In den zehn Jahren seien keine Stimmen laut geworden, die das Auto vermissen. Auch konnte festgestellt werden, dass das eingemietete Gewerbe sehr zufrieden ist.
Erkenntnisse des Nachmittags, die beim anschliessenden Apéro diskutiert wurden, waren sicher: Der Bau von Tiefgaragen ist teuer und nicht kostendeckend. Je kürzer der Weg, umso eher wird dieser ohne Auto zurückgelegt. Mobilitätskonzepte müssen durch Angebote und klare Kommunikation attraktiv gemacht werden. Und insgesamt ist Autofreiheit ein sehr wirksamer Hebel zur Senkung der CO2-Emissionen.