Interview: Dietikon bereitet sich auf den nächsten Wachstumsschub vor.

Der Kanton Zürich ist ein attraktiver Arbeits- und Wohnort. Dementsprechend wächst die Bevölkerung. Der Verkehr nimmt zu, das verfügbare Bauland ab, und die Mieten steigen. Wie die Gemeinden in der Agglomeration diese Entwicklungen zu spüren bekommen und vor welche Herausforderungen sie das Wachstum stellt, erfragt Wohnbaugenossenschaften Zürich – in dieser Ausgabe in Dietikon, beim Stadtpräsidenten Roger Bachmann.

Dietikon ist in den letzten zwanzig Jahren um einen Drittel auf über 27 000 Einwohner:innen gewachsen. Und prognostiziert sich selbst bis ins Jahr 2050 nochmals zusätzlich 10 000 Zuzüger:innen in 4000 neuen Wohnungen. Wie nimmt dies die Bevölkerung auf?
Wir laden – wie gerade gestern – jedes Jahr die 80-Jährigen zu einem gemeinsamen Ausflug ein. Dabei wird auch die Frage «Wie erleben jene, die schon lange in Dietikon leben, die Veränderung der Stadt?» zum Thema. Aber anders, als man es vielleicht erwarten würde, begrüssen die älteren Menschen, dass Neues entsteht. Denn sie realisieren, dass bei der Verdichtung nicht nur mehr Wohnungen gebaut werden und mehr Menschen hierherziehen, sondern – gerade über Gestaltungspläne – auch mehr Aufenthaltsräume entstehen. Denn im Gegensatz zu den 50er- und 60er-Jahren, in denen einfach Klötze hingestellt wurden, ohne über Parknutzungen für die Bevölkerung nachzudenken, können wir heute beispielsweise über städtebauliche Verträge auch etwas einfordern, das der Öffentlichkeit zugutekommt. Das wird von der Bevölkerung geschätzt.

Andererseits: Im letzten grossen, zusammenhängenden Entwicklungsgebiet im Niderfeld wird Dietikon in den nächsten Jahren sicher nochmals um 3000 bis 4000 zusätzliche Bewohnende, also um eine kleine Gemeinde wachsen. Da gibt es bei der älteren Bevölkerung, aber auch bei den Jungen, die zuhause ausziehen wollen und sich mit ihren Anfangslöhnen noch keine teuren Mieten leisten können, schon Erwartungen.

Welchen Einfluss hat dies auf die kommunale Bau- und Zonenordnung BZO?
Wir sind jetzt gerade an der Totalrevision. In diesem Zusammenhang haben wir einen partizipativen Prozess zusammen mit allen Interessengruppen angestossen. Dabei tauchen die unterschiedlichsten Forderungen auf, seitens der Umweltverbände aber auch seitens der Wirtschaft, und es ist die Aufgabe der Politik, einen ausgewogenen Entwurf zu erarbeiten, mit dem auch eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und -bürger leben kann. Zudem spielen Aufenthaltsqualität – auch im Aussenraum – und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr eine wichtige Rolle. Das sind auch wichtige Argumente für Arbeitgeber, um die besten Arbeitskräfte zu bekommen.

Durch die Limmattalbahn ist Dietikon bezüglich Wohnen und Arbeiten noch attraktiver geworden. Wirkt sich das auf die Landpreise aus?
Entlang der Limmattalbahn vermutlich schon. Doch wenn ich die Preisentwicklung in der Region und im Kanton Zürich anschaue, bewegen wir uns hier wohl im gleichen Rahmen. Ich beobachte aber eine Verdrängung aus der Stadt Zürich in die Agglomeration – auch bei jenen, die sich ein Eigenheim kaufen möchten und in Zürich einfach keines finden.

Gleichzeitig erlebt Dietikon eine Phase der baulichen Erneuerung (Neubauten mit höheren Mieten als in den Altbauten, die ersetzt wurden, Anmerkung der Redaktion). Daraus resultiert eine gewisse Verdrängung, auch der sozialen Lasten. Es ist nicht so, dass wir uns aus der Verantwortung stehlen wollen. Aber es ist einfach eine Tatsache, dass Städte wie Dietikon in der Agglomeration von Zürich hohe soziale Lasten zu tragen haben und es Zeit wird, dass dies wieder ins Lot kommt und auch die Landgemeinden einen Teil übernehmen. Mittlerweile ist es so, dass wir Aufgaben – zum Beispiel bezüglich Verkehr – auch mit unseren Aargauer Kollegen besprechen, weil sie mit denselben Problemen konfrontiert sind.

Wie wirkt sich das auf die Wohnungsmieten aus?
Aufgrund eines politischen Vorstosses haben wir dies erhoben. Es ist tatsächlich ein Anstieg der Mieten festzustellen. Man muss aber auch festhalten, dass im gleichen Zeitraum das Lohnniveau ebenfalls gestiegen ist. Es sind verschiedene Faktoren, die in einer Gesamtschau gegeneinander abgewogen werden müssen. Das Einkommen, die Lebenshaltungskosten, der Steuerfuss und welche Gegenleistungen – Infrastruktur, Kulturangebot und anderes mehr – die Bewohnenden für ihre Steuern bekommen. Von Besuchenden aus anderen Gemeinden höre ich oft Aussagen wie «Bei euch läuft etwas. Wir hingegen werden zur Schlafgemeinde.» Diese haben zwar keine finanziellen Probleme, aber sie finden beispielsweise keine Leute für das Vereinsleben am Ort.

Die Fluktuation – Weg- und Zuzüge – in der Bevölkerung von Dietikon beträgt jährlich rund 9 %. Wie gehen Sie damit um?
Bei fast 30 000 Einwohnern ist das kaum spürbar. Dietikon war ein Bauerndorf und hatte nach dem 2. Weltkrieg etwa 6000 Einwohner. Dann begann in der Hochkonjunktur das rasante Wachstum, doch im Kern ist Dietikon noch heute ein Dorf. Zum einen mit vielen «Alteingesessenen», zum anderen mit Menschen, die einfach hier wohnen und schlafen und sonst kaum etwas mit der Stadt zu tun haben. Aber um auch diese besser zu integrieren, haben wir mit Unterstützung der städtischen Kulturfachstelle und der Integrationsbeauftragten einen wiederkehrenden Anlass, der ursprünglich zur besseren Integration von Ausländerinnen und Ausländern stattfand, zu einem sehr beliebten Sommerfest mitten im Zentrum umgestaltet, bei dem wirklich alle willkommen sind. Auch tun wir viel in den Bereichen Kultur und Sport. Das sind die Bereiche, in denen wir die Menschen zusammenbringen.

In den Legislaturzielen 2022 – 26 wurde u. a. die «gezielte Abgabe stadteigener Flächen im Baurecht oder in Miete zur Unterstützung und Ansiedlung zukunftsorientierter Unternehmen oder zur Förderung von Wohnbaugenossenschaften» festgeschrieben. Wie viele Grundstücke kommen beispielsweise fürs Wohnen überhaupt in Frage?
Das Entwicklungsgebiet Niderfeld ist eines der letzten grossen, unbebauten Grundstücke. Und die Stadt Dietikon ist dort einer der grössten Grundeigentümer. Auf den rund 40 Hektaren soll – als Resultat eines langen, partizipativen Prozesses mit der Bevölkerung, Umweltverbänden, politischen Parteien und den anderen Grundeigentümern – auch ein grosser städtischer Park entstehen. Vor 20 Jahren herrschte in der Wirtschaft die Meinung vor, man müsse solche Flächen kommerziell nutzen.

Heute, im Zuge der Klimadiskussionen, wäre es gar nicht mehr mehrheitsfähig, x-tausend Quadratmeter zu versiegeln. Und wir sind sehr froh, dass damals so entschieden wurde. Denn es geht auch um Aufenthaltsqualität, nicht nur um Wohnungen, sondern auch um die Umgebung. Weil wir aber als wachsende Stadt auch die Infrastruktur ausbauen müssen – zum Beispiel Schulhäuser oder ein neuer Werkhof –, haben wir ein Teilgebiet für die «öffentliche Nutzung» reserviert. Es ist aber so, dass es noch eine städtische Parzelle gibt, bei der wir uns sehr gut vorstellen können, dass dort eine Wohnbaugenossenschaft zum Zug kommt.

Der Gegenvorschlag zur kommunalen Initiative «Bezahlbares Wohnen in Dietikon» wurde im Juni 2023 mit einer Zweidrittelmehrheit von der Bevölkerung angenommen. Wurden seither Gespräche mit Wohnbaugenossenschaften geführt, vielleicht zu gemeinsamen Projekten?
Nein. Es gab aber auch keine konkreten Flächen. Es ist aber ein klares Ziel für die Zukunft. Gerade im Hinblick auf das erwähnte Niderfeld werden Genossenschaften ein Thema sein. Die Forderung der Initiative hätte der Stadt finanziell das Genick gebrochen. Durch den Gegenvorschlag haben wir nun den bereits beschrittenen Weg in der Gemeindeordnung festgeschrieben. Es soll auch künftig städtisches Land grundsätzlich im Baurecht an Genossenschaften vergeben werden. Schon in der Vergangenheit hat man sich ergebende Opportunitäten eigentlich immer genutzt.

Wäre das Vorkaufsrecht – sollte die entsprechende kantonale Initiative dereinst angenommen werden – als Ergänzung zu den anderen Lenkungsmöglichkeiten ein nützliches Instrument für die Stadt Dietikon?
Diese Diskussion haben wir im Stadtrat noch nicht geführt. Es ist letztlich eine wirtschaftliche Frage: Kann und will sich das eine Stadt leisten? Die bestehenden Instrumente bieten uns bereits heute sehr gute Möglichkeiten. So entwickelt die SBB aktuell das ganze Bahnhofsareal neu, und Dietikon hat sich im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags einen Drittel preisgünstige Wohnungen ausbedungen. Auch hat der Stadtrat bei der letzten Revision der Gemeindeordnung – ein Vertrauensbeweis des Parlaments – die Kompetenz für unbegrenzte Landkäufe erhalten. Das ist wesentlich, denn wir können so – wenn es richtig und wichtig für die Stadt ist – schnell handeln. Erfreulicherweise erhielten wir schon öfter auch dann den Zuschlag, wenn wir nicht die «Meistbietenden» waren – von Menschen, die einen Bezug zu Dietikon und ein soziales Gewissen haben. Ich glaube nicht, dass uns – aufgrund dieser privilegierten Situation – ein Vorkaufsrecht viel mehr bringen würde.


Dietikon in Zahlen*

28 093 Einwohner:innen (Stand 2023) – 10 % Wachstum in den letzten 10 Jahren
1- und 2-Personen-Haushalte: 67,8 %
1- bis 3-Zimmer-Wohnungen: 57,5 %
Anteil an gemeinnützigen Wohnungen: 7,1 % (930 Wohnungen, Stand 2022)
Leerstand 2023: 0,46 %
Handänderungen bei Mehrfamilienhäusern: 45 (seit 2019)
Öffentlicher Verkehr: durchschnittlich 11 Minuten bis Zürich HB
Steuerfuss: 123 %

(*vom statistischen Amt des Kantons Zürich und den SBB)

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