Beim Generationenwohnen werden soziale Kontakte und gegenseitige Unterstützung zwischen den Generationen bewusst ermöglicht, gefördert und gelebt. Politik und Öffentlichkeit verbinden oft hohe Erwartungen mit dieser Wohnform. Sie soll der Einsamkeit von alten Menschen entgegenwirken, den Zusammenhalt der Generationen fördern, den Pflegenotstand lindern, junge Familien entlasten. Doch kann das Generationenwohnen solche Erwartungen wirklich einlösen? Unter dem Titel «Generationenwohnen – von der Idee bis zur Umsetzung» stellte das diesjährige ETH Forum Wohnungsbau kritische Fragen und räumte mit Mythen auf.
Einsamkeit als Gesundheitsrisiko
Der wachsende Anteil älterer Menschen stellt unsere Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern, machte im Eingangsreferat zwar keinen Graben zwischen den Generationen aus. Sie diagnostizierte aber mehr Neben- als Miteinander, wenig gegenseitiges Wissen und eine fehlende Kultur des Dialogs. Die Referentin rückte auch die Kehrseite der Individualisierung in den Fokus: Die Einsamkeit nimmt zu. Einsamkeit ist ein Tabuthema, das zu viel persönlichem Leid und gesundheitlichen Problemen führt. Den Mehrwert von Generationenprojekten sieht die Referentin daher vor allem in Begegnungen auf Augenhöhe und nicht in Pflege- und Unterstützungsleistungen.
Helfen ist einfacher als Hilfe annehmen
Dass Generationenwohnen kaum die Probleme in der Betreuung von älteren Menschen löst, zeigen erste Ergebnisse aus dem Projekt «Generationenwohnen in langfristiger Perspektive», das Eveline Althaus und Leonie Pock vom ETH Wohnforum vorstellten. Regelmässige Hilfsangebote unter Nachbar:innen unterschiedlicher Generationen bilden in ihren Fallstudien die Ausnahme. Bemerkenswert ist auch, dass die Unterstützung im fragilen Alter in den untersuchten Projekten (noch) kaum intern diskutiert wird. Annette Spellerberg, Professorin für Stadtsoziologie an der TU Kaiserslautern, stellte Befragungsresultate vor, die in eine ähnliche Richtung deuten: Nachbar:innen sind eher bereit, Hilfe anzubieten, als Hilfe anzunehmen. Dahinter stecken starke gesellschaftliche Gegenseitigkeitsnormen. Fragile Personen, die sich nicht mehr für Unterstützung revanchieren können, greifen deshalb oft lieber auf bezahlte Dienstleistungen oder die Hilfe von Familienmitgliedern zurück.
Immer noch leisten Frauen einen grossen Teil der Pflege- und der Unterstützungsarbeit für ältere Personen. Mehrere Referentinnen betonten denn auch, dass das Generationenthema auch ein Genderthema ist. Sie warnten davor, die familiären Erwartungen gegenüber Frauen und Töchtern nun auch in der Gesellschaft zementieren zu wollen. Nur schon die veränderten Rollenbilder und die verstärkte Berufstätigkeit der Frauen werden dafür sorgen, dass solche Pläne nicht aufgehen.
Ein lebendiges Umfeld
Vor allem ältere Personen äussern den Wunsch, in einer generationengemischten Umgebung zu leben. Das zeigte sich auch im Mitwirkungsprozess zu gemeinschaftlichen Wohnformen der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich SAW (ausführlicher Bericht hier >). Dahinter stehen wohl vor allem die Befürchtung, in einem «Altersghetto» zu landen, und der Wunsch nach einem vielfältigen, anregenden Umfeld. Genau hier liegt die Stärke des Generationenwohnens: Es ermöglicht alltägliche Begegnungen und einen Austausch zwischen Menschen aus verschiedenen Generationen. Wenn sich daraus eine gegenseitige Unterstützung ergibt, ist das wunderbar. Eine tragfähige Pflege und Unterstützung von fragilen älteren Personen braucht aber andere Lösungen und kann nicht einfach an Hausgemeinschaften delegiert werden.
Rückblicke auf die Tagung finden Sie hier >