Am 2. Oktober hat Stefan Schneider seine Arbeit als neuer Geschäftsführer von Wohnbaugenossenschaften Zürich aufgenommen. Aus diesem Anlass beantwortet er fünf Fragen.
Welche Erfahrungen bringst du in die Verbandsarbeit ein? Als Unternehmensberater erlangte ich vielfältige Einblicke in unterschiedliche Organisationen. Dabei wurde mir bewusst, dass nicht die Art der Institution – sei es Behörde, Verband, Universität oder profitorientiertes Unternehmen – im Vordergrund steht. Von grösserer Bedeutung ist, wie die Mitglieder dieser Organisationen miteinander agieren und welche Impulse meinerseits die Zusammenarbeit, die organisatorischen Abläufe und die Kultur innerhalb dieser Gruppen stärken können.
Mich hat es stets erfüllt, auf Menschen unterschiedlicher Altersgruppen mit verschiedenen Bildungshintergründen und politischen und kulturellen Ausrichtungen zuzugehen. Beim Reisen, aber insbesondere 2019/20 in meinem Jahr als UNO-Friedensbeobachter in Kaschmir habe ich gelernt, wie essenziell eine offene und pragmatische Herangehensweise ist, um Menschen für Anliegen und Veränderungen zu gewinnen. Ich bin überzeugt, dass diese Fähigkeit auch in meiner zukünftigen Verbandsarbeit entscheidend für den Erfolg sein wird.
Welche Verbindung hast du zum gemeinnützigen Wohnungsbau? Ich verfolge die Aktivitäten von verschiedenen Wohnbaugenossenschaften im Raum Zürich seit meinem Studium. Was mit der Absicht begann, selbst genossenschaftlich wohnen zu können, entwickelte sich mit der Zeit zu einer Begeisterung für die innovativen Lösungen von Genossenschaften. Seien es beispielsweise die partizipativen Ansätze, mit denen die Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen in Projektentwicklungen aufgenommen werden und durch die innovative und funktionierende Projekte mit neuen Wohnformen sowie geringem Flächenverbrauch pro Person zu günstigen Erstellungskosten entstehen. Solche Projekte haben Vorbildcharakter für die ganze Immobilienbranche.
Welche Aufgabe gehst du als Erstes an? Die Geschäftsstelle ist in den letzten Jahren stark gewachsen und hat diverse Projekte erfolgreich umgesetzt, wie zum Beispiel den Aufbau der Verbandsdienstleistungen Netz Genossenschaften. Nach einer Phase des Wachstums folgt in der Regel eine Phase der Konsolidierung. Mein erstes Ziel ist es, optimale organisatorische Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle zu schaffen. So kann sichergestellt werden, dass die heutigen Prozesse und Dienstleistungen effizient erbracht werden können. Weiter will ich gewährleisten, dass Kapazitäten für neue Initiativen des Anfang Jahr neu gewählten Vorstands geschaffen werden.
Worauf freust du dich am meisten? Ich freue mich auf die anstehende Zusammenarbeit mit dem diversen und sympathischen Team der Geschäftsstelle und dem Vorstand. Aber auch auf die bevorstehenden Gespräche mit den Verbandsmitgliedern, in welchen ich die Bedürfnisse und die Herausforderungen der unterschiedlichen Genossenschaften besser kennenlernen kann. Zudem freue ich mich auf die zahlreichen Kontakte zu anderen Interessengruppen, bei denen es darum geht, gemeinsame Ziele zu identifizieren und innovative Lösungsansätze voranzubringen.
Was fällt dir zum Stichwort «Wohnen 2040» ein? In meiner bisherigen beruflichen Karriere habe ich erlebt, wie das Thema ökologische Nachhaltigkeit von einer Randerscheinung zu einem massgeblichen Trend in der Gesellschaft wurde. Bis 2040 erwarte ich, dass netto null und eine Kreislaufwirtschaft beim Ressourcenverbrauch im Wohnungswesen Standard sind.
Nebst der Klimaerwärmung sieht sich die Schweizer Gesellschaft leider noch diversen anderen Herausforderungen gegenüber. Ich denke da vor allem an die demografische Entwicklung, dass immer weniger junge Menschen auf immer mehr ältere treffen, und an die Konsequenzen der «Winner-takes-it-all-Effekt»-Wirtschaft, die sich durch die Digitalisierung zusätzlich akzentuiert. Sowie an den immer knapper und teurer werdenden Wohn- und Lebensraum.
Wohnen ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Nehmen wir zum Beispiel die «Gated-Communities», welche in Entwicklungsländern zum Stadtbild gehören und die Schere zwischen Arm und Reich symbolisieren. Wir als direkte Demokratie haben es selber in der Hand, wie wir den zu erwartenden Spannungen in unserer Gesellschaft begegnen möchten, ob wir beispielsweise der Gentrifizierung einfach freien Lauf lassen. Aus meiner Sicht ist das Wohnen in durchmischten Überbauungen, wo Nachbarschaftshilfe zwischen Jung und Alt und zwischen Arm und Vermögend gelebt wird und wo die einheimische Kultur durch die fremdländische bereichert wird, ein gutes Rezept, um solchen gesellschaftlichen Spannungen vorzubeugen. Das passiert aber nicht von allein, dafür braucht es breit abgestützte Anforderungen und Ziele bezüglich sozialer Nachhaltigkeit bei allen Wohnbauträgern – ähnlich wie das heute bei den ökologischennNachhaltigkeitszielen der Fall ist.
Solche Ziele bezüglich die soziale Nachhaltigkeit führen dazu, dass sich Themen wie partizipative Wohnmodelle mit Wohnformen, die Nachbarschaftshilfe zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten ermöglichen, und mit einer inklusiven Preispolitik zur gesellschaftlichen Norm entwickeln. Wir stehen meiner Meinung nach also vor einer Renaissance des gemeinnützigen Wohnungsbaus, wie er heute von innovativen Wohnbaugenossenschaften vorgelebt wird.
Profil von Stefan Schneider
Stefan Schneider hat Jahrgang 1988 und ist gelernter Hochbauzeichner mit Berufsmaturität und einem Bachelor of Science ZFH in Facility Management mit Vertiefung Immobilienmanagement. Er war von 2013 bis 2019 und von 2021 bis 2023 in verschiedenen Funktionen für pom+ tätig, seit 2021 als Partner und Mitglied der Geschäftsleitung. Er begleitete diverse Immobilienorganisationen, darunter auch Wohnbaugenossenschaften, bei Strategie- und Organisationsentwicklungen sowie Bauvorhaben im Grossraum Zürich als Berater und Projektleiter. Seit dem Frühlingssemester 2023 ist Stefan bei der Universität Zürich eingeschrieben und strebt dort im berufsbegleitenden Studium den Master of Advanced Studies in Applied Ethics an.