Zur Generalversammlung vom 15. Mai 2023 tritt Christian Portmann, Präsident von Wohnbaugenossenschaften Zürich, aus dem Vorstand zurück. Dies nahm die Redaktion zum Anlass, mit ihm Rückschau auf die bewegten neun Jahre, auf die Entwicklungen und Meilensteine in der gemeinnützigen Branche und innerhalb des Regionalverbands zu halten.
Du bist seit 2014 im Vorstand und seit 2018 Präsident von Wohnbaugenossenschaften Zürich. Welche Themen lagen dir während deiner Amtszeit besonders am Herzen?
Mein Werdegang im gemeinnützigen Wohnungsbau begann aus dem Nichts heraus als frisch gewählter Präsident einer alteingesessenen, mittelgrossen Wohnbaugenossenschaft ohne nennenswerte Geschäftsstelle, ohne Vision und Strategie. Die darauf folgenden Jahre widmete ich zusammen mit einem hochmotivierten Vorstand dem Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung, der Erarbeitung einer Erneuerungsstrategie und der Neustrukturierung sowie der sozialverträglichen Instandsetzung des gesamten Liegenschaftenbestandes.
Diese Erfahrungen haben mich geprägt und motiviert, mich im Vorstand von Wohnbaugenossenschaften Zürich für die Weiterentwicklung unserer Branche einzusetzen. Ich musste allerdings bald erkennen, dass wir zunächst bei der eigenen Geschäftsstelle ansetzen mussten. Heute dürfen wir feststellen, dass es uns gelungen ist, nicht nur Ruhe in den Alltag zu bringen, sondern eine eigentliche Aufbruchstimmung zu erzeugen. Gerade in den letzten Jahren sind wir unserem strategischen Ziel, der Professionalisierung auf Ebene Verband und bei unseren Mitgliedern, sehr viel nähergekommen.
Einen zweiten Schwerpunkt sah ich in der Beschaffung und Aufbereitung von Grundlagen zwecks Schärfung unserer strategischen Ziele und unserer Kernbotschaften. Unsere Leistungen sollten wir fundiert belegen können.
Wo siehst du die grössten Fortschritte in den vergangenen Jahren?
Mit der 2019 von der Generalversammlung einstimmig beschlossenen Erhöhung der Mitgliederbeiträge konnten wir die personellen Voraussetzungen für den Ausbau unserer Verbandsarbeit schaffen und wir konnten bei unseren Dienstleistungsangeboten nicht nur einen Schritt, sondern einen grossen Sprung nach vorne machen!
Gab es in den vergangenen Jahren besondere Herausforderungen zu bewältigen?
Anfang 2021 wurden wir seitens der SP Kanton Zürich angefragt, uns an der Lancierung einer Volksinitiative zu beteiligen. Diese Vorkaufsrechtsinitiative hat uns nicht nur inhaltlich gefordert, sondern führte uns auch in eine kontroverse, verbandsinterne und wohl noch nicht ganz abgeschlossene Diskussion über unser politisches bzw. wohnpolitisches Selbstverständnis. Da uns der erste Vorschlag für einen Initiativtext aus rechtlicher Sicht noch nicht zu überzeugen vermochte, zogen wir externe fachliche Unterstützung hinzu. Dass dies den Prozess verzögerte, wurde anfangs nicht überall gut aufgenommen, erwies sich rückblickend aber als absolut richtig, denn der im Ergebnis vorliegende Vorschlag zur Ergänzung des kantonalen Wohnbauförderungsgesetzes ist aus fachlicher Sicht stimmig.
Erschwerend kam hinzu, dass man sich im Vorstand lange nicht einig war, ob dieses wichtige Geschäft der GV zu unterbreiten sei, was im Coronajahr 2021 völlig ausgeschlossen war. Der vorbereitende Workshop mit unseren Mitgliedern sowie die Verabschiedung des Initiativtextes an der GV 2022 haben dem internen Dialog gutgetan.
Wo siehst du im gemeinnützigen Wohnungsbau noch brachliegendes Potenzial?
Das grösste greifbare Potenzial sehe ich bei den Baugenossenschaften selbst, nämlich bei der Erneuerung und Weiterentwicklung ihrer Liegenschaften. Dabei gilt es, die Entwicklung weit vorausschauend anzustossen, dabei aber auch einen adäquaten Einbezug der Genossenschaftsmitglieder im Auge zu haben. Aufgrund unserer genossenschaftlichen Strukturen haben wir erfreulicherweise auch die Instrumente für massgeschneiderte Lösungen und Planungssicherheit in der Hand.
Was hat sich beim Verband, aber auch in der Branche, in deiner Zeit als Präsident wesentlich verändert?
Dank der personellen Aufstockung haben wir es zu einem guten Teil geschafft, viele Tätigkeiten, die vorher durch den Vorstand wahrgenommen wurden, in die Geschäftsstelle zu verlagern. Dies sichert einerseits das Know-how und erleichtert auch die Vereinbarkeit der Vorstandsarbeit mit der Berufstätigkeit.
Der Boden- und Wohnungsmarkt hat in den letzten Jahren eine ungute Dynamik erfahren, durch die die Gefahr besteht, dass viele Leute unter die Räder kommen. Wir mussten schon wiederholt klarstellen, dass die gemeinnützigen Wohnbauträger nicht in der Lage sind, die negativen Auswirkungen eines überbordenden Wohnungsmarktes aufzufangen. Mit anderen Worten: Alle Akteure sollten hinsichtlich einer auch gesellschaftspolitisch verantwortungsvollen Entwicklung ihres Portfolios ihre Verantwortung wahrnehmen müssen. Bei der baulichen Entwicklung sollte Tempo herausgenommen werden.
Was nimmst Du aus deiner Zeit als Präsident von Wohnbaugenossenschaften Zürich mit?
Dieses Amt hat mir viele Einblicke über den Tellerrand hinaus ermöglicht und mich mit vielen interessanten und lösungsorientierten Menschen zusammengebracht, die bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrungen vorbehaltlos zu teilen.
Die Schweiz der Wohnbaugenossenschaften ist in Regionen unterteilt. Wo siehst du Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten?
Das grosse Gemeinsame überwiegt. Zum einen im Bestreben, bezahlbaren Wohnraum anzubieten, zum anderen in der grossen Vielfalt der Genossenschaften. Interessanterweise hat jede Stadt ihre eigene Geschichte des gemeinnützigen Wohnungsbaus und damit auch ein sehr spezifisches Verhältnis zu ihren Wohnbaugenossenschaften. Mir ist dabei aber stets bewusst, dass der Stadt Zürich mit ihren heute rund 40’000 Genossenschaftswohnungen eine Sonderrolle zukommt, zuweilen auch eine Vorbildfunktion. Wir sollten uns dabei aber auch immer wieder vor Augen halten, dass wir auf der Vorarbeit von mehreren Generationen aufbauen können.
Welche neuen Aufgaben siehst du auf Wohnbaugenossenschaften Zürich und seine Mitglieder zukommen?
Der knappe und teure Boden wird uns zwangsläufig zu kreativen Lösungen, beispielsweise bei der inneren Verdichtung, führen.
Was wünschst du dem neuen Präsidium und dem neu besetzten Vorstand?
Dass sie die vielen guten Leistungen, welche die Genossenschaftsbewegung seit ihrer Entstehung vor über 100 Jahren erbringt, weiterhin gut vermitteln. Darüber hinaus wünsche ich mir einen direkteren Dialog, vor allem auch mit Kreisen, die dem gemeinnützigen Wohnungsbau eher kritisch gegenüberstehen.
Und was hast du persönlich in Zukunft vor?
Ich bleibe dem gemeinnützigen Wohnungsbau als Geschäftsführer der Baugenossenschaft Linth-Escher sowie über meine beratende Tätigkeit verbunden, und ich werde mich auch auf anderen Wegen für gesellschaftliche Anliegen einsetzen.