Die Fachtagung feierte am 12. November 2021 ein kleines Jubiläum: Die gemeinnützige Branche und viele Mitarbeitende der Stadtzürcher Hoch-, Tief- und Städtebauämter trafen sich zum zehnten Mal zur alljährlichen Fachtagung im Verwaltungszentrum Werd in Zürich. Aus diesem Grund begann die Veranstaltungen – ganz unüblich – mit einem Stehlunch.
Nach einem kurzen Rückblick auf die vergangenen Fachtagungen, einer kleinen Vorschau auf den aktuellen Anlass und einem Appell von Stadtrat Richard Wolff an die Bauträger wurden verschiedene Lösungsansätze für ein besseres Wohn- und Stadtklima präsentiert und diskutiert.
Peter Schmid hielt in seiner Begrüssung zur 10. Fachtagung Rückblick auf die Erfolgsgeschichte dieser Innovations- und Lernplattform. Ins Leben gerufen wurde die alljährlich stattfindende Fachtagung vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich, von Wohnbaugenossenschaften Zürich und der Baugenossenschaft mehr als wohnen, mit dem klaren Ziel, den gemeinnützigen Wohnungsbau durch starke Impulse und den Erfahrungsaustausch zu professionalisieren. Vor allem im Hinblick auf den damals zunehmenden Sanierungsbedarf, die Ersatzneubauten und das Programm «10’000 neue Wohnungen» war es wichtig, die Branche mit vorhandenem Know-how, neuen Erkenntnissen und guten Beispielen voranzubringen. Auch die «2000-Watt-Gesellschaft» und damit die Nachhaltigkeit waren von Anfang an wichtige Themen.
Boomtown Zürich und die Gemeinnützigen
Danach ergriff Stadtrat Richard Wolff, Vorsteher Tiefbau- und Entsorgungsdepartement der Stadt Zürich, das Wort. In seiner Grussbotschaft sieht er im gemeinnützigen Wohnungsbau einen der ganz grossen Trümpfe von Zürich – einer Stadt, die sich «in einer enormen Wachstumsphase» befindet. Die Bevölkerung werde in kurzer Zeit von 400’000 auf 500’000 Menschen anwachsen. Diese Menschen müssten gut untergebracht werden. Welchen Einfluss die Pandemie, zum Beispiel im Zusammenhang mit «Homeoffice» für einen Einfluss auf Raumbedarf und Raumentwicklung haben werden, dies müsste an einer weiteren Tagung diskutiert werden. Doch für ihn wird der Boom nach der Pandemie wieder an Fahrt aufnehmen und der Bedarf an Wohnraum steigen. Ein wichtiges Stichwort dazu sei «Ersatzneubau». Ihn beschäftige aber nicht nur der Wohnraum, sondern auch das Wohnumfeld, der Grünraum und das Stadtklima, zwei für die Lebensqualität und die Regeneration der Menschen wichtige Faktoren. Deshalb kämpfe Grün Stadt Zürich um jede Grünfläche und habe dazu auch das Grünbuch der Stadt Zürich publiziert.
Er verwies auch auf die Klimakonferenz in Glasgow und die eher schlechten Prognosen bezüglich des erwarteten Temperaturanstiegs. Eine lokale Antwort darauf sei die Zürcher Fachplanung Hitzeminderung. Zwar gäbe es an der Quelle des Problems, auch bei der fossilen Wärmeerzeugung, grosse Anstrengungen zur Reduktion. Man müsse aber auch deren Auswirkungen kleinräumig reduzieren. Er sprach die Einhausung Schwamendingen an. Dort würde nun – dank der Zürcher Stimmbevölkerung – ein rund 3 Hektaren grosser Park inkl. Vertikalbegrünung entstehen. Aber auch kleinere Projekte sollen künftig unterstützt werden. Deshalb habe man das «Förderprogramm mehr als grün» aufgelegt, bei dem künftig auch Gelder zur Verfügung gestellt werden. So appellierte er an die Genossenschaften und dankte ihnen, dass sie das Stadtklima auf die Agenda gesetzt haben.
Zielkonflikt: Verzicht ohne Einschränkung
Andreas Wirz, Vorstand bei Wohnbaugenossenschaften Zürich, spannte den Bogen von der Klimakonferenz in Glasgow und dem Zielkonflikt zwischen dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der Eindämmung von Pendlerströmen über die Klimajugend, «die unsere Gesellschaft vor sich hertreibt und zurecht auf die Einhaltung des Gesellschaftsvertrags pocht» bis hin zur Annahme des Energiegesetzes im Kanton Zürich. Dann übergab er das Wort an Matthias Schuler von Transsolar KlimaEngineering aus Stuttgart.
Dieser plädierte fürs lokal Vorhandene, heimische Vegetation und heimisches Baumaterial und dafür, das Klima bei Planungen von Anfang an zu berücksichtigen. Er präsentierte via Zoom seinen Beitrag zum Stadtklima auf dem Basler Dreispitz-Areal, zeigte auf, dass sich die Tropennächte dort vervierfacht und wie sich das – anhand einer Klimaanalysekarte – sich auf die versiegelten Flächen der Stadt Basel ausgewirkt hätten. Im Dreispitz soll Industrie abgebaut und Wohnraum errichtet werden. Um eine Absenkung um 8 Grad zu erreichen, gelte es, kühlenden Wind ins Areal zu leiten bzw. Hindernisse zu entfernen, Wasser aufzufangen und ehemals versiegelte Flächen dicht zu bepflanzen. Auch führte er aus, was man unter «adaptive Komfort» versteht. Es geht dabei um die physiologisch empfundene Temperatur, also beispielsweise, dass 30 Grad wesentlich angenehmer empfunden wird, wenn gleichzeitig ein Wind weht oder in der Wohnung Durchzug herrscht. Dies führt zu einem reduzierten Einsatz von Klimageräten. So konnte zum Beispiel bei einem Projekt in Singapur der Energiebedarf eines Gebäudes um 75 % reduziert werden.
Hitzeminderungen sind planbar, Einsparungen auch.
Die Klimaveränderungen haben auch Einfluss auf die Anzahl Hitzetage und Tropennächte (bei denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt). Die Tropennächte – so referierte Theres Fankhauser vom Amt für Hochbauten – werden sich verdoppeln. Dies aufgrund der Verdichtung und den versiegelten Flächen. Zwischen der Stadt und den ländlichen Gebieten herrsche schon jetzt ein Unterschied von 8 bis 10 Grad. In der «Fachplanung Hitzeminderung der Stadt Zürich» wird nicht nur das Problem beschrieben, es werden auch Wirkungsanalysen und Lösungsansätze aufgezeigt, und zwar parzellenscharf. Helle Oberflächen, wenig versiegelte Fläche und vor allem Bäume pflanzen zeigten bereits grosse Wirkung. Um die künftigen Kosten für die Kühlung von Gebäuden zu illustrieren, wies Franz Sprecher, ebenfalls vom Amt für Hochbauten der Stadt Zürich, auf einen Boom beim Verkauf von Klimageräten hin. Er machte anschliessend eine einfache Rechnung: Er zeigte anhand der Prognose, dass künftig ein normaler Sommer etwa so heiss werde wie der Hitzesommer 2003, dass der Stromverbrauch der Klimageräte auf 30 % des Gesamtenergiebedarfs eines Gebäudes anwächst. Bei ausreichender Beschattung könne man sich dies sparen.
Kaltluftströme und Schatten im Sonnengarten
Peter Seidler von der Baugenossenschaft Sonnengarten berichtete vom Projekt «Stadtstück Triemli», einem zweistufigen Wettbewerb für den Ersatzneubau von zwei ihrer Siedlungen. Nach dem sozialen Testplan, dem Erheben der Bedürfnisse der Bewohnenden rückten die Energie-Versorgung und die Klimaverträglichkeit in den Fokus. Zusammen mit der Stadt haben man 2500 Meter tief in den Boden gebohrt, in der Hoffnung, dort Warmwasser in ausreichender Menge zu finden. Leider sei dies nicht der Fall gewesen. Dafür haben man nun zusammen mit dem Stadtspital Triemli eine «sehr tief gelegene» Wärmepumpe. Beim Klima habe das Amt für Hochbauten Daten zu den fürs Klima so wichtigen Windströmen geliefert. Die neuen Gebäude werden nun so angeordnet, dass nicht nur der Wind zur Kühlung genutzt werden kann. Die Häuser stellen sich auch gegenseitig in den Schatten.
Klimaoptimierte ehemalige Industrie-Areale
Ebenfalls im Bau ist das Hobelwerk der Baugenossenschaft mehr als wohnen in Winterthur. Dort suchte man laut Beni Rohrbach, Leiter Innovation bei mehr als wohnen, nach skalierbaren Lösungen zum Thema Netto-Null – Bauen mit Holz und Recycling von Baustoffen, CO2-Abluftsystem und, angesichts der steigenden Hitzetage. in Bezug auf die Kühlung. Sie setzten dabei auf Kühlung durch Bäume und intensive Begrünung sowie auf ein ausgeklügeltes Regenwasser-Management. (Zur Präsentation >)
Sabine Wolf präsentierte die Fortschritte auf dem Koch-Areal in Zürich. Sie ist dort verantwortlich für die Koordination zwischen vier Bauträgern (zwei Wohnbaugenossenschaften, Grün Stadt Zürich und ein Gewerbe-Investor), die gemeinsam ein neues Stadtquartier realisieren und mit verschiedenen Massnahmen – Verschattung, Fassadenbegrünung, Kühlung durch Frischluft-Korridore und (Regen-)Wasser, offene Oberflächen.
Bitte recht klimafreundlich: Architektur, Bewohnende und Technik
Tanja Lütolf vom Amt für Städtebau Zürich widmete sich in ihrer Präsentation der Gestaltung der Gebäude. Studien hätten deutlich gemacht: Bereits die Architektur müsse dem Raumklima Rechnung tragen, beispielsweise durch massive Bauteile (Speichermasse), kleinere Fenster statt Glasfronten, Sonnenschutz durch Balkone und einer Anordnung der Räume, die eine nächtliche Durchlüftung ermöglichten. Raffael Hegglin der Abteilung Gebäudetechnik von Immobilien Stadt Zürich ging anschliessend auf die Möglichkeiten im Bestand ein, also bei Gebäuden, die bereits bestehen: Frischluftzirkulation, Einrichten von Kühlinseln innerhalb eines Gebäudes, Sonnenschutzfolien auf den Fensterflächen, Beschattungsinstallationen und Innenbegrünung. Für den bestmöglichen Betrieb müssten aber vor allem die Benutzerinnen und Benutzer sensibilisiert werden.
Mustergültig und «lieber innovativ als gelabelt»
Dass Fassadenbegrünungen keine graue Theorie sondern farbige Realität sind, zeigte Nicolas Disch, der die Muster-Zentrale von Grün Stadt Zürich vorstellte. Dort sind vier verschiedene Typen von Fassadenbegrünungen zu begutachten. Diese unterscheiden sich nicht nur bei den Kosten, sondern auch im Unterhalt. Allen gemeinsam ist, dass sie essbar sind. Zuletzt wies er noch einmal auf das eben lancierte Förderprogramm für Vertikalbegrünungen hin, dass mit drei Millionen Franken jährlich alimentiert ist.
Ein unkonventionelles Vorgehen wählte der Architekt Christian Inderbitzin bei der Planung des Projekts Rotbuchstrasse der Stiftung einfach wohnen. Die Stiftung hatte in der Ausschreibung des Wettbewerbs festgeschrieben, dass einerseits massvoll verdichtet und andererseits der Baumbestand möglichst erhalten bleiben soll. So zeichnet sich die Eingabe von EMI Architekten dadurch aus, dass die Skelett-Bauten sich um den Baumbestand herum anordnen. Der Baumbestand ersetzt durch seine Kühlleistung die Klimageräte für die ganze Siedlung. Auch bleiben die Böden offen. Das Haus «undicht», also ohne Folien und Silikon erstellt. Selbstverständlich erreichten sie damit kein Label, aber – damit schliesst Christian Inderbitzin – «Label sind auch innovationshemmend.»
Bei der anschliessenden Diskussion nahm Annette Aumann, Projektleiterin beim Amt für Hochbauten, dieses Label-Votum auf und hielt fest, dass Projekte wie jenes an der Rotbuchstrasse Pionierleistungen seien. Der Wohnungsbau brauche aber auch den Breitensport, also viele Nachahmende, die eben diese neuen Standards erreichen wollten. Schliesslich trage man Verantwortung. Einer der zahlreichen Teilnehmenden der Fachtagung brachte es beim abschliessenden Apéro anders auf den Punkt: «Bauträger können nicht einfach die Hitze aus einer Liegenschaft nach draussen lüften wie ein SUV-Fahrer, der mit laufendem Motor und Klimaanlage am Strassenrand telefoniert.»