Wohnbaugenossenschaften Zürich lud Anfang September Vorstände, Geschäftsführer:innen und Sozialarbeitende gemeinnütziger Bauträger zu einer Impulsveranstaltung zum Thema «Partizipation in der Planung» ins Zentrum Karl der Grosse in Zürich ein. Auf dem Programm standen zunächst ein Referat und zwei Praxisberichte zum Thema. Anschliessend wurde auf dem Podium diskutiert – über die Planung hinaus – und der neue Leitfaden «Partizipative Prozesse in Wohnbaugenossenschaften» des Regionalverbands angekündigt.
Tobias Nägeli vom ZHAW Departement Soziale Arbeit steckte in seinem Impulsreferat sogleich den Rahmen ab: Was gilt als Partizipation und was nicht? Auch ging er darauf ein, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit «Partizipation» auch gelingt, die Teilnehmenden gehört und umsetzbare Ideen gefunden werden. Zunächst muss man sich auf den Rahmen und die Spielregeln, die Ziele und den Zeithorizont einer Partizipation einigen. Diese Aspekte müssen allen Teilnehmenden klar sein, vor allem was die Einflussmöglichkeiten der Teilnehmenden angeht. Wenn sie nichts zu entscheiden hätten und sie nur konsultiert würden, müsse dies klar kommuniziert werden. Und schliesslich wies er auf den Mehrwert hin, den erfolgreiche Partizipationsprozesse generieren können: angefangen bei der bedarfsgerechten Planung (z. B. bei Bauvorhaben) über die stärkere Identifikation der Mitglieder mit ihrer Genossenschaft bis hin zur Nachhaltigkeit der erarbeiteten Lösungen im Betrieb.
Beispielhaft: Partizipation bei konkreten Erneuerungsprojekten
Sabine Binder und Stefan Zollinger berichteten anschliessend über einen Partizipationsprozess zu einer sanierungsbedürftigen, denkmalgeschützten Siedlung mit Verdichtungspotenzial der Heimstätten Genossenschaft Winterthur (HGW). Da habe man nicht nur die direkt betroffenen, zum Teil langjährigen und gut organisierten Bewohnenden eingeladen, sondern man habe auch die Zuständigen des Amts für Denkmalpflege und des Amts für Städtebau Winterthur von Anfang an in die Partizipation eingebunden. So hätten alle Beteiligten voneinander gehört, worauf man grossen Wert lege, was möglich sei und was nicht. Dies habe viel zum gegenseitigen Verständnis, zur sorgfältigen Ausschreibung des Studienauftrags und letztlich zur Akzeptanz der erarbeiteten Lösung beigetragen. Wichtig für einen erfolgreichen Prozess sei, dass man sich genügend Zeit nimmt, die Resultate der Workshops – manchmal in mehreren Schritten – in Arbeitsgruppen vertieft, anschliessend zusammenzufasst und transparent kommuniziert. Im Falle der HGW dauerte das Partizipationsverfahren von Mai 2016 bis zum ausgereiften Masterplan im März 2017.
Sabine Binder sprach in diesem Zusammenhang auch das Partizipationsparadox an: Es beschreibt die anfänglich grossen Einflussmöglichkeiten der Teilnehmenden, die sinken, je weiter der Prozess fortschreitet. Im Gegensatz dazu steigen Interesse und Engagement, je näher die konkrete Umsetzung rückt. Dies hat wohl zum einen damit zu tun, dass am Anfang vieles noch sehr abstrakt wirkt, und zum anderen damit, dass mit jedem Fortschritt mehr und mehr festgelegt wird und zuletzt nichts anderes übrig bleibt als die konkrete Umsetzung. Wichtig ist also, dass man am Anfang die Betroffenen aus den richtigen Gründen motiviert und am Ende das Vertrauen der Teilnehmenden (und auch der Generalversammlung) da ist, wenn nun andere – Spezialisierte – die letzten Entscheide treffen und mit der Umsetzung betraut werden.
Charlotte Römling, Projektleiterin Siedlungsleben bei der Baugenossenschaft Sonnengarten (BGS), stellte das Partizipationsprojekt «Stadtstück Triemli» vor. Dieses wurde bereits im Oktober 2015 initiiert, nachdem die BGS festgestellt hatte, dass ihre Siedlungen im Goldacker erneuert werden müssen. Nach einer ersten «Zukunftskonferenz», bei der die Ängste und Wünsche der Mitglieder aufgenommen wurden, fand – parallel zur baulichen Testplanung – eine Ergebniskonferenz in der Genossenschaft statt. Nach dem Schlussbericht im Februar 2017 habe man mit der sozialen Testplanung in Fokusgruppen begonnen. Diese seien thematisch gebildet worden: So waren die Perspektiven «Familien mit Kindern», «Jugendliche aus der Siedlung und dem Quartier», die «Älteren» sowie das «Wohnen und Arbeiten» vertreten. Ausserdem gab es mit dem Ideenlabor eine fünfte Gruppe. Sie alle trafen sich regelmässig, um ihre Perspektiven zu schärfen und Empfehlungen in die Testplanung einfliessen zu lassen. Die Resultate seien dokumentiert und allen Genossenschaftsmitgliedern gegenüber kommuniziert worden.
Letztlich flossen die Erkenntnisse 2017 in die Entwicklungsstrategie ein und waren massgebend bei der Ausschreibung des Architekturwettbewerbs 2018. Die Erneuerung der Siedlungen sollte einerseits weiterhin günstige Mieten sichern, aber auch den Wechsel der Bewohnenden in kleinere und vor allem hindernisfreie Wohnungen ermöglichen.
Thema auf dem Podium: Machttransfer bzw. -teilung
Die Referierenden nahmen anschliessend Platz auf dem Podium und diskutierten Voten aus dem Publikum. Zum Beispiel zurFrage, wie man richtig zur Partizipation einlade. Teilnehmende seien ja – angesichts der langen Entwicklungs- und Bauphasen – oft nicht mehr die Nutzniessenden des Resultats. Die Empfehlung von Charlotte Römling: Dies gilt es zu antizipieren und sollte von Anfang an kommuniziert werden. Und bei einem langen Prozess sollten bereits gewonnene Erkenntnisse auch mit neuen Teilnehmenden nochmals verifiziert werden. Sabine Binder ergänzte, dass es sicherlich hilfreich sei, immer wieder gut über die Entwicklungen zu informieren, um die Teilnehmenden im Prozess zu halten.
Das Problem mit den Partikularinteressen kann – so Sabine Binder – dadurch gelöst werden, dass man die Teilnehmenden beim Resümee auffordert, sich bei der Priorisierung auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren. Dabei fallen die individuellen Wünsche meist aus der Liste. Tobias Nägeli relativierte: Es sei wichtig, bei individuellen Wünschen ein allgemeines Muster dahinter zu erkennen, beispielsweise von gewünschten Gartensitzplätzen und von guter Bepflanzung den Wunsch nach Privatsphäre abzulesen. Jemand fragte nach dem idealen Zeitpunkt, einen Partizipationsprozess zu starten. Dies hänge von der Bereitschaft seitens des Vorstands ab, wie viel er zulassen will. Naturgemäss gehörten Visionen ganz an den Anfang. An diesem Punkt machte Tobias Nägeli seinen Standpunkt deutlich: Bei der Partizipation finde ein Machttransfer statt. Dieser könne aber nur stattfinden, wenn jene mit Macht bereit seien, diese mit den Partizipierenden zu teilen. Man müsse sich darüber klar werden, was man den Teilnehmenden garantieren könne. Alles andere sei Schein-Partizipation und unbedingt zu vermeiden, da sonst viele frustriert würden und die Glaubwürdigkeit der Genossenschaftsführung leide.
Auch beschäftigte die Frage, was zu tun sei, wenn der Einladung zur Mitwirkung nicht oder nur wenig gefolgt würde. So kam zur Sprache, dass eine Kultur der Offenheit und Transparenz eine gute Voraussetzung sei, damit der Aufruf zur Partizipation glaubwürdig ist. Für Charlotte Römling ist Partizipation eine Methode, überhaupt an die Menschen heranzukommen und so letztlich etwas für die soziale Nachhaltigkeit zu tun. Dabei müsse man sich fragen, ob man «die Richtigen» richtig eingeladen habe. Und sie ergänzte, dass sie mehrere Menschen persönlich davon überzeugt habe, teilzunehmen, weil sie etwas Wichtiges beizusteuern hatten. Letztlich – so Stefan Zollinger – könne man nicht mehr als das Angebot zur Mitwirkung machen.
Fast schon als Schlussworte nannte Tobias Nägeli «Betroffenheit» und «Beziehung»: Damit jemand mitmacht, sollte er oder sie vom Thema betroffen sein. Und die Angesprochenen müssten eine Beziehung zu den Einladenden haben. Man könne nicht einfach aus dem Nichts von den Menschen erwarten, dass sie sich engagieren.
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