Daniel Leupi: «Auch Menschen mit tiefen Einkommen müssen einen Platz in der Stadt haben.»

Im Gespräch mit Wohnbaugenossenschaften Zürich verdeutlicht Daniel Leupi, städtischer Finanzvorsteher, wie die Stadt Zürich mit ihrer Wohnpolitik die verschiedenen Förderinstrumente orchestriert, was er sich vom neu geschaffenen Wohnraumfonds erhofft und warum es den kürzlich ernannten Delegierten Wohnen der Stadt Zürich braucht.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum steht gemäss Sorgenbarometer bei der Zürcher Bevölkerung neu ganz oben. Was unternimmt die Stadt aktuell, um dieses Problem anzugehen? Diese Entwicklung zum Sorgenthema Nr. 1 hat sich abgezeichnet. Und es ist ja auch nicht so, dass die Stadt sich erst jetzt mit dem Wohnthema beschäftigt. Tatsächlich schauen wir auf eine 100-jährige Tradition der Wohnbauförderung zurück. Und in den letzten zehn Jahren haben wir die Bemühungen wieder stark intensiviert. Erst kürzlich haben wir mit dem Wohnraumfonds ein neues Instrument eingeführt. Auch ist die Stadt deutlich aktiver auf dem Immobilienmarkt tätig und sie entwickelt ihre letzten eigenen Baulandreserven. Ausserdem versuchen wir, bestehende Instrumente wie zum Beispiel die Subventionierung auszubauen und die Wohnbaustiftungen mit neuem Kapital auszustatten.

Was wir – im Vergleich zu Stadtregierungen vor 100 Jahren – nicht können, ist am Stadtrand im grossen Stil Land kaufen. Aber im Rahmen unserer Möglichkeiten sind wir bezüglich Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus wahrscheinlich die aktivste Stadt in der Schweiz. Es ist uns aber auch bewusst, dass die Nachfrage immer grösser sein wird als das Angebot.

Die Stadt Zürich kauft Liegenschaften «vom Markt». Konkurrenziert sie damit die gemeinnützigen Bauträger? Die Mitarbeitenden von Liegenschaften Stadt Zürich sind gut vernetzt und prüfen allfällige Konkurrenzsituationen. Zudem setzen der Kauf und die Entwicklung grosser Areale wie Harsplen eine gewisse Grösse voraus. Das könnten nicht viele Baugenossenschaften stemmen. Wir versuchen, eher grosse Areale zu erwerben. Da und dort kaufen wir auch kleinere Liegenschaften, zum Beispiel wenn wir in direkter Nachbarschaft zu Schulhäusern oder Infrastrukturbauten arrondieren können. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem wir einer Genossenschaft auf dem freien Markt eine Liegenschaft in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft weggeschnappt hätten.

Von bürgerlicher Seite wird auch behauptet, diese Käufe heizten die Immobilienpreise weiter an. Ist dem so? Von den jährlich rund 2000 Handänderungen in der Stadt Zürich entfallen nur etwa 20 auf unsere Bemühungen, und auch wenn dies grössere Geschäfte betrifft, erreichen sie höchstens fünf, in extremen Jahren 10 % des Volumens. Von Preistreiberei kann also keine Rede sein. Die Stadt verfügt zudem über eine Schätzungskommission mit grosser Erfahrung. Diese bewertet das Areal und berücksichtigt einen eventuellen Arrondierungsmehrwert bzw. das Potenzial eines Grundstücks. Daraus ergibt sich eine klare Angebotslimite. Die Stadt kauft nicht einfach alles, was auf den Markt kommt.

Trotzdem, die hohen Kaufpreise führen doch zu hohen Mieten … Die Mieten der zu Marktpreisen von der Stadt gekauften Liegenschaften sind natürlich nicht zu vergleichen mit jenen im Altbestand der Liegi. Und wenn auf einem neu erworbenen Grundstück mehr Wohnraum möglich wäre, schlägt sich das eben im Kaufpreis nieder. Die Stadt bezahlt also auch das Potenzial. Aber auf die bestehenden Mieten hat das erst einmal keinen Einfluss. Wir nehmen keine Änderungskündigungen vor. Erst bei Wechseln werden die Miethöhen schrittweise an die Kostenmiete herangeführt, was zu Mietzinssenkungen, aber eher eben auch zu Erhöhungen der Mieten führen kann. In der Regel liegen die Mieten immer noch weitaus unter jenen auf dem freien Markt.

Mit dem städtischen Wohnraumfonds wird demnächst ein Instrument geschaffen, das es auch gemeinnützigen Wohnbauträgern ermöglicht, ab 2025 bei Liegenschaftenkäufen Abschreibungsbeiträge zu beantragen. Was versprechen Sie sich darüber hinaus von diesem neuen Instrument? Welches Potenzial hat es? Das kann ich nicht in absoluten Zahlen beantworten. Uns fehlt noch der Erfahrungswert. Wie viele Projekte werden beantragt werden? Wie hoch wird der Anteil an der jeweiligen Gesamtinvestition sein? Es hängt viel von den Wohnbaugenossenschaften selber ab. Der Wohnraumfonds soll auch bei kostenintensiven Sanierungen in Anspruch genommen werden können, um auf Jahrzehnte hinaus bezahlbare Mieten zu gewährleisten. Diese Finanzmittel werden auch für kommende Generationen wirken, vorausgesetzt, sie werden in Anspruch genommen.

Genossenschaften werden mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die «falschen Leute» bei ihnen leben. Bei städtischen Liegenschaften gab es diese Diskussion ebenfalls, woraufhin das städtische Vermietungsreglement angepasst wurde. Wünschen Sie sich auch für Genossenschaften strengere Regeln? Genossenschaften sind private, freie Akteure. Im Prinzip können auch ein paar Millionär:innen eine Genossenschaft gründen. Es wird auf bürgerlicher Seite oft verkannt, dass dies eine politisch völlig neutrale Organisationsform ist. Das Gros der bestehenden Wohnbaugenossenschaften nimmt seine soziale Verantwortung wahr. Und dort, wo sie von der öffentlichen Hand etwas bekommen – und das betrifft nur einen kleinen Teil der Wohnungen –, beispielsweise Land im Baurecht, stellen wir Bedingungen. Aber Genossenschafter:innen haben Kapital einbezahlt, sind also nicht normale Mieter:innen. Dies gilt es zu berücksichtigen. Aber ich erwarte eine Bereitschaft zur Veränderung. So ist statistisch gesehen der Ausländeranteil bei Wohnbaugenossenschaften kleiner als im Durchschnitt der Bevölkerung. Ich sehe aber auch, dass die Genossenschaften für dieses Thema offen sind und sie die Pluralität unserer Gesellschaft berücksichtigen. Sie schaffen zum Beispiel für Familien mit Kindern sensationellen Lebensraum. Und wenn Genossenschaften Belegungsvorschriften anwenden und nicht zu grossflächig bauen, dann führt das fast automatisch dazu, dass sich keine Millionär:innen bei ihnen ansiedeln. Wichtig finde ich, dass bei der Erstvermietung soziale Aspekte berücksichtigt werden. Aber dass sich Bewohnende während der Mietdauer beruflich entwickeln, muss auch möglich sein. Genossenschaften sind schliesslich nicht der verlängerte Arm des Sozialdepartements.

Die gemeinnützigen Wohnbauträger werden im «Sozialräumlichen Monitoring der Stadtentwicklung Zürich» 27 Mal erwähnt. Meist im Zusammenhang mit einer mietpreisdämpfenden Wirkung. Wie schätzen Sie den Einfluss der Wohnbaugenossenschaften auf die Mieten ein? In der Stadt Zürich wirkt sich der hohe Anteil gemeinnütziger Wohnungen generell mietpreisdämpfend aus. Und dies nicht nur dank der alten Bestandsliegenschaften. Auch bei einem Ersatzneubau orientiert sich die Miete an den Kosten und nicht an der Zahlungsbereitschaft der Wohnungssuchenden.

Bei den Resultaten dieses Monitorings sticht etwas ins Auge: In denselben Stadtkreisen*, in denen auch die vulnerablen Bevölkerungsgruppen wohnen, sieht die Stadt sowohl den grössten Erneuerungsbedarf als auch das grösste Verdichtungspotenzial. Es sind ausserdem eben jene Stadtkreise, in denen der Anteil gemeinnütziger Wohnungen sehr hoch ist. Sieht die Stadt darin auch Gefahren, zum Beispiel jene der Verdrängung? Das Problem ist bekannt. Verdrängung bei Ersatzneubauten war aber auch schon vor 70 oder 50 Jahren ein Thema. Inzwischen hat sich dies aber akzentuiert. Natürlich tragen auch Wohnbaugenossenschaften, die ihre Nutzungsreserven ausnützen wollen, zu dieser Dynamik bei. Ich sehe aber, dass sie dies sorgfältig planen und etappieren, um den betroffenen Genossenschafter:innen bezahlbare Ersatzwohnungen anbieten zu können. Grundsätzlich ist aber ein hoher Anteil gemeinnütziger Wohnungen in diesen Gebieten eine sehr positive Konstellation.

Und was unternimmt die Stadt bezüglich der Verdrängungseffekte? Es ist uns bewusst, dass Wachstum auch Verdrängungseffekte haben kann. Da ein Neubau in der Stadt Zürich in 99 % der Fälle ein Ersatzneubau ist, verschwinden damit die günstigsten Wohnungen vom Markt. Das Sozialdepartement, seine Partnerorganisationen, Liegenschaften Stadt Zürich und die städtischen Wohnbaustiftungen bemühen sich um die Vulnerabelsten. Ausserdem kann die Stadt bestehende Liegenschaften (mit günstigen Wohnungsmieten) erwerben. Auch wollen wir das Instrument der subventionierten Wohnungen – vor allem zur Unterstützung der Menschen, die im Niedriglohnsektor tätig sind – wieder vermehrt einsetzen, damit auch sie einen Platz in der Stadt haben und nicht pendeln müssen. Daher wünsche ich mir sehr, dass der Anteil subventionierter Wohnungen auch bei den Genossenschaften wieder wächst.

Die meisten Genossenschaften können aufgrund der hohen Landpreise nur noch auf eigenem Land wachsen, mittels Ersatzneubauten. Dabei geht auf kurze Sicht bezahlbarer Wohnraum verloren, und es wird viel graue Energie vernichtet. Wie geht die Stadt Zürich – bei ihren eigenen Liegenschaften – mit diesem Dilemma um? Wir gehen sehr sorgfältig vor, durchaus auch als lernende Organisation und unter den kritischen Augen des Gemeinderats, aber auch der Bevölkerung. Ich wehre mich dabei sowohl gegen die Haltung «Wir müssen einfach bauen und neue Wohnungen schaffen» als auch gegen «Man darf nur noch sanieren und Ergänzungsbauten machen, aber nicht abreissen». Man muss jedes Projekt von der Energiebilanz inklusive grauer Energie über die Erhöhung der Anzahl Wohnungen bis zum Lärmschutz individuell prüfen und eine Güterabwägung vornehmen. Für mich darf es kein Tabu geben bzw. kein höchstes Ziel, dem sich alles andere unterordnen muss.

Wenn sehr viel mehr Wohnraum geschaffen und die Hindernisfreiheit erhöht werden kann, wenn viel Energie im Betrieb eingespart und auch ReUse-Elemente verbaut werden können, sollte ein Ersatzneubau möglich sein. Vor allem, wenn anschliessend viel mehr Leute auf der gleichen Landfläche weniger Wohnraum und auch weniger Energie verbrauchen. Dennoch: Liegenschaften Stadt Zürich hat deutlich mehr Sanierungsprojekte als Ersatzneubauten.

Eben wurde ein Delegierter Wohnen der Stadt Zürich ernannt. Welche Aufgaben hat Philippe Koch ab Januar 2025? Entgegen dem Eindruck, für das Thema Wohnen sei bei der Stadt nur das Finanzdepartement zuständig, sind viele weitere Stellen involviert: Der Lead für die Wohnbaupolitik liegt beim Präsidialdepartement. Das Gesundheits- und Umweltdepartement ist für die Alterswohnungen zuständig. Die Sozialwohnungen sind beim Sozialdepartement angesiedelt, und das Hochbaudepartement befasst sich mit der Stadtplanung. Auch die Wohnbaustiftungen sind über zwei Departemente verteilt. Insgesamt unternimmt die Stadt sehr viel. Was fehlt, ist einerseits eine Botschafterin oder ein Botschafter, eine Ansprechperson nach aussen. Zum anderen steht die Überarbeitung des Programms Wohnen bevor. Da braucht es eine Person, die losgelöst von den operativen Aufgaben einer Dienstabteilung alles einordnet und miteinander verknüpft, die interne Diskussion vorantreibt und das bestehende Konzept weiterentwickelt. Philippe Koch ist ein guter Kommunikator, hat die fachlichen Kompetenzen und die nötigen Kontakte zu allen Mitwirkenden, um das Thema Wohnen voranzubringen.

*Affoltern, Albisrieden, Hirzenbach, Oerlikon, Saatlen, Seebach und Schwamendingen

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