In einem Artikel vom 2. April 2024 im Tages-Anzeiger kritisieren mehrere Genossenschafter:innen anonym ihre Wohnbaugenossenschaft. Die Kritikpunkte fasste die Zeitung unter dem Titel «Mitsprache unerwünscht» zusammen. Da die vorgebrachten Kritikpunkte im Artikel weder hinterfragt noch eingeordnet wurden, tut dies Wohnbaugenossenschaften Zürich.
Im Artikel wurden die folgenden Punkte angesprochen:
> Schlecht gewähltes Datum für die Generalversammlung (GV)
> Komplexe Themen würden vom Vorstand an der GV «durchgepeitscht».
> Mitgliederanträge würden ignoriert.
> Finanzen seien nicht überprüfbar.
> Kandidaturen würden unterdrückt.
> Es fehlten Instanzen zur Geschäftsprüfung und bei der Wohnungsvergabe.
Schlecht gewähltes GV-Datum verhindert Mitsprache.
Im Wortlaut: «Die Verzerrung fängt damit an, dass an der GV nicht alle Genossenschaftsmitglieder teilnehmen können. Manche, die gerne würden, sind verhindert.»
Fakt ist: Wohnbaugenossenschaften kommunizieren ihren GV-Termin Monate vor der offiziellen Einladung zur Generalversammlung. Sie achten dabei darauf, dass der Termin nicht in die Schulferien oder zwischen Feiertage fällt. Sollte es sich jemand dennoch nicht einrichten können, steht es ihr oder ihm frei, sich von einem Genossenschaftsmitglied, das im selben Haushalt wohnt, an der GV vertreten zu lassen.
Die «Corona-Jahre» haben übrigens gezeigt, dass die Genossenschaftsvorstände grössere, zukunftsweisende Projekte – meist verbunden mit einem grösseren Diskussionsbedarf – allesamt auf spätere GV verschoben haben, um eben diese Diskussionen mit ihren Mitgliedern führen können, sobald sich die Lage entspannt hat.
Komplexe Themen würden vom Vorstand an der GV durchgepeitscht.
Im Wortlaut: «Die Auskunftspersonen kritisieren weiter, dass die GV in ihren Genossenschaften nicht auf offene Diskussionen angelegt seien. Komplexe Themen würden vom Vorstand «durchgepeitscht». Man finde kaum Zeit, sich zu melden. Es brauche auch Mut, sich vor hunderten von Teilnehmenden kritisch zu äussern.»
Fakt ist, dass es den Genossenschaftsmitgliedern freisteht, Fragen zu stellen und Erklärungen zu den Geschäften zu verlangen. Darüber hinaus kann die GV ein traktandiertes Geschäft auch ablehnen und zusätzliche Diskussionsveranstaltungen dazu verlangen.
Wichtig: Kritische Fragen und eigene Anträge zu stellen, sind weder gemäss Statuten ein Grund, jemanden aus der Genossenschaft auszuschliessen, noch ist es mietrechtlich zulässig, deswegen jemandem die Wohnung zu kündigen.
Mitglieder-Anträge würden unterdrückt.
Im Wortlaut: «Worüber abgestimmt wird, entscheidet der Vorstand. In zwei dieser Redaktion geschilderten Fällen schafften es die Anträge, die dem Vorstand nicht genehm waren, gar nie auf die Traktandenliste.»
Fakt ist: Nicht der Vorstand, sondern die Statuten entscheiden, was traktandiert werden kann. Die Statuten definieren präzise Art und Grösse der Geschäfte, die in die Kompetenzen des höchsten Genossenschaftsgremiums, die Generalversammlung, fallen. Mitglieder können Geschäfte, die in die Kompetenz der GV fallen, unter Einhaltung der Antragsfrist für Geschäfte traktandieren lassen und sie können zu traktandierten Geschäften (auch mündlich an der GV) Änderungsanträge stellen Die Antragsfrist für Traktanden ist dabei keine Schikane, sondern verschafft dem Vorstand bzw. der Geschäftsstelle Zeit, um mögliche Kostenfolgen, rechtliche Unsicherheiten oder andere wichtigere Konsequenzen des Antrags abzuklären, um die GV korrekt zu informieren.
Fällt ein Antrag nicht in die Kompetenz der GV, sondern in jene des Vorstands, steht es dem Vorstand frei, ihn trotzdem vor die GV zu bringen. So oder so tut er gut daran, gegenüber den Antragstellenden seinen Entscheid zu begründen.
Finanzen seien nicht überprüfbar.
Im Wortlaut: «Die betroffenen Genossenschaften veröffentlichen Jahresberichte mit oberflächlichen Kennzahlen. Wichtige Angaben, zum Beispiel jene zur Berechnung der Mietpreise, bleiben ihnen (den Kritikern) vorenthalten.»
Fakt ist: Genossenschaften präsentieren in ihren GV-Unterlagen die Bilanz und Erfolgsrechnung – wie andere Unternehmen auch. Diese entsprechen den gesetzlichen Rechnungslegungsvorschriften. Ausserdem weist der Vorstand in den GV-Unterlagen auch (meist) darauf hin, dass man auf der Geschäftsstelle – nach Voranmeldung – detailliert Einsicht in die «Bücher» nehmen kann. Der vertiefte Einblick kann also im Vorfeld einer GV verlangt und er muss gewährt werden, auch wenn im Geschäftsbericht nichts dazu steht. Haben Genossenschafter:innen den Verdacht, dass bei den Finanzen nicht alles mit rechten Dingen zugeht, haben sie die Möglichkeit, an der GV eine ordentliche Revision zu verlangen. Dann muss eine externe Revisionsstelle die Rechnung prüfen. Dazu braucht es die Stimmen von 10 % der Genossenschafter:innen.
Zur Berechnung der (Kosten)Mieten: Das Thema Kostenmiete hat durch die jüngsten Erhöhungen des Gebäudeversicherungswerts und des Referenzzinssatzes – die beide in die Kostenmietformel einfliessen – an Interesse gewonnen. Viele Genossenschaften haben von sich aus die konkreten Zahlen publiziert, oft pro Siedlung oder sogar pro Wohnungsgrösse. In der Stadt Zürich werden die Kostenmieten pro Siedlung von der Fachstelle Gemeinnütziges Wohnen kontrolliert. Sind Genossenschafter:innen der Ansicht, dass ihre individuelle Miete nicht korrekt berechnet wurde, können Sie bei der Fachstelle gemeinnütziger Wohnungsbau dagegen Einsprache erheben. Dann muss die Fachstelle zusätzlich die Kostenmiete der betreffenden Wohnung prüfen.
Kandidaturen würden unterdrückt.
Im Wortlaut: «Auch die Wahlen von neuen Vorstandsmitgliedern funktionieren laut den Auskunftspersonen nicht wirklich demokratisch. In den fünf kritisierten Genossenschaften werden die Nachfolger bei Rücktritten meistens vom bisherigen Vorstand vorgeschlagen. Kandidatinnen und Kandidaten aus der Genossenschaft seien nicht erwünscht.»
Fakt ist: Jedes Genossenschaftsmitglied ist nicht nur stimm- und wahlberechtigt, sondern kann auch selbst kandidieren. Auch ganz spontan an der GV selbst – vorausgesetzt, das Geschäft «Wahlen» ist traktandiert.
Der Vorstand erarbeitet bei Vakanzen oder bei Vorstandserweiterungen oft einen Wahlvorschlag. Idealerweise geht er dabei von einem klar definierten Aufgaben- und Anforderungsprofil aus, damit alle nötigen Fachkompetenzen im Vorstand vertreten sind. Auch ist es gute Praxis, die Vorstandsposten unter den Mitgliedern öffentlich auszuschreiben. Und er achtet darauf, dass mit den «Neuen» eine gewisse Kontinuität gewährleistet ist, sprich, dass sie für mehrere Jahre zur Verfügung stehen. Da sich in den wenigsten Genossenschaften Kandidierende um ein Amt reissen, stossen Interessierte meist auf offene Türen.
Es fehlten Instanzen zur Geschäftsprüfung und bei der Wohnungsvergabe sowie eine Amtszeitbeschränkung.
Im Wortlaut: «Einige Kritiker fordern die Einführung einer Geschäftsprüfungskommission (GPK), […] Eine solche Gruppe aus gewählten Mitgliedern würde Zugang erhalten zur Buchhaltung und diese jedes Jahr prüfen. […] Oft genannt wird auch eine Amtszeitbeschränkung für Vorstände. So würden verkrustete Strukturen aufgebrochen. […] Vorgeschlagen wird teilweise auch ein separates Gremium für die Wohnungsvergabe.»
Fakt ist: Es liegt in der Kompetenz der Generalversammlung, eine Geschäftsprüfungskommission in den Statuten zu verankern und die Mitglieder dieser Kommission zu wählen. Tatsächlich kennen bereits einige Genossenschaften eine solche Instanz.
Auch die Etablierung einer Vermietungskommission liegt in der Kompetenz der GV. Sie sollte – um legitimiert zu sein – aber ebenfalls in den Statuten verankert werden, inklusive ihrer Rechte, Pflichten und der Aufgabenteilung mit der Verwaltung. Unabhängig davon sollte ein Vermietungsreglement bestehen, das die Auswahlkriterien für neue Genossenschafter:innen festhält, für alle verbindlich und objektiv nachvollziehbar.
Zum letzten Punkt: Eine Amtszeit kann auch durch eine Abwahl beschränkt werden. Schliesslich wählt die GV ihren Vorstand. Will man eine allgemeine Amtszeitbeschränkung für Vorstandsmitglieder einführen, bedarf es einer Statutenänderung. Eine solche können Mitglieder an der GV beantragen, meist braucht es dazu eine Zweidrittelmehrheit.
Wohnbaugenossenschaften sind demokratische Systeme nach dem Prinzip «Ein Mensch – eine Stimme». Sie leben davon, dass sich Menschen kritisch und konstruktiv einbringen und dass sie gehört werden, dass Themen ausdiskutiert und mehrheitsfähige Lösungen gefunden werden.