Nachdem der Anlass aufgrund der Pandemie schon zweimal verschoben werden musste, konnten am 8. Oktober 2021 Wohnbaugenossenschaften Zürich und die Genossenschaft Kalkbreite die interessierten Mitglieder endlich bei der Besichtigung des Zollhauses direkt neben den Gleisen im Zürcher Industriequartier begrüssen. Dabei löste sich nicht nur das Rätsel vom «Hallenwohnen» auf, es zeigte sich auch einmal mehr, dass gemeinnützige Bauträger zu den Innovatoren der Wohnbaubranche gehören.
Der Andrang machte eines deutlich: Die Neugier und die Erwartungen waren gross. Und das Publikum wurde nicht enttäuscht. Auf dem knapp 5000 m² grossen Areal an der Ecke Lang-/Zollstrasse, das der Regionalverband 2012 im Auftrag der SBB und der Stadt Zürich ausschreiben konnte, steht nun ein gelungenes neues Stück Stadt in der Stadt.
Die Genossenschaft Kalkbreite setzte sich mit diesem Projekt gegen zehn weitere Teams durch und erhielt schliesslich den Zuschlag für den Grundstückskauf. Susanna Schocker-Strotzer vom Regionalverband begrüsste die 75 zugelassenen Besucherinnen und Besucher, die in den Rängen des hauseigenen Theaters anundpfirsich Platz genommen hatten. Anschliessend stellte Valérie Clapasson, Co-Geschäftsleiterin der Kalkbreite, das austarierte Konzept zur Erstvermietung vor: Geschlecht, Alter, Diversität, Menschen mit und ohne Behinderung, der soziale Status, die Mobilität und das Interesse an Partizipationsprozessen waren alles Kriterien, die zu einem nahezu ausgewogenen Mietmix geführt hätten.
Philipp Fischer, der ausführende Architekt, präsentierte dann die Vielfalt von Raummix und -nutzung (siehe Eckdaten unten). Als böte diese Lage nicht schon genügend Herausforderungen für die Wohnnutzung, legte die Kalkbreite die Messlatte noch höher: Nun beherbergen die drei Gebäude einen Kindergarten, ein Guesthouse, flexibel nutzbare Meetingräume, eine öffentlich zugängliche Gleisterrasse, mehrere Gastronomiebetriebe und diverse Läden und Dienstleistungsbetriebe. Und nicht zu vergessen: 50 Wohnungen von 1,5 bis 9,5 Zimmern, in denen 190 Personen (29,8 m² pro Person) aus 19 Nationen leben!
Philipp Fischer nahm für seinen Teil der Ausführungen einen Stich von Zürich um das Jahr 1860 als Beispiel dafür, wie sehr sich das Dorf, die Landschaft, die Welt und die Gesellschaft verändert haben. Der Stich zeige, dass damals alles im Ansatz schon dagewesen sei, aber nicht in diesem Ausmass. Allein das Wachstum und die Mobilität und ihre Auswirkungen hätten die Welt und ihre Verdichtung stark geprägt. In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass das «Hallenwohnen» beinahe aus dem Projekt gekippt worden wäre. Stattdessen habe man es modifiziert und die zwei ursprünglich dafür vorgesehenen Hallen in acht kleinere unterteilt. Freiheit, aber nicht zu viel. Aber am Prinzip des Selbstausbaus der Hallen habe man festgehalten. Bevor man dann in Gruppen zur eigentlichen Besichtigung schritt, äusserte Philipp Fischer noch zwei Wünsche. Zum einen plädierte er dafür, dass sich Wohnbaugenossenschaften wieder mehr zur (Wohn-)Politik äusserten. Und zum anderen solle man doch den jungen Architektinnen und Architekten vermehrt eine Chance geben, sich bei Wettbewerben unter Beweis zu stellen.
Beim anschliessenden Apéro diskutierten die Mitglieder ihre Eindrücke und das Konzept als solches. Ausserdem genossen sie es sichtlich, sich wieder einmal persönlich auszutauschen, ohne Bildschirm dazwischen. Wohnbaugenossenschaften Zürich ist zuversichtlich, dass sich bald wieder eine gute Gelegenheit für anregende Gespräche ergibt.
Einige Eckdaten:
56 % der Fläche für Wohnen • 46 Regelwohnungen von 1,5 bis 9,5 Zimmern (8 subventioniert) • eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit 97 m² kostet CHF 1970.– 282 m² Gemeinschaftsfläche • 9 Flexräume • 6 Jokerzimmer • Guesthouse mit 14 Zimmern • Minergie-Eco-zertifiziert • Heizung: Grundwasserwärmepumpen • das Zollhaus ist autofrei
> Die Publikation «Zollhaus 2013–2021» ist übrigens online oder broschiert erhältlich.